Nachhaltigkeit = ökologischer Impact?
Nachhaltigkeit ist ähnlich wie Ethik, Moral oder das Empfinden für Recht und Unrecht „erlernt“. Sie hängt demnach stark vom familiären, gesellschaftlichen und kulturellen Umfeld ab.
Es ist daher verständlich, dass eine Taxonomie, die zudem noch in Etappen eingeführt wird und sich auf 27 europäische Länder bezieht, nicht automatisch deckungsgleich ist mit der Vorstellung von Nachhaltigkeit eines einzelnen europäischen Anlegers.
Hinzu kommt, dass man immer wieder auf die drei relevanten Themen Environment, Social und Governance hingewiesen wird. Die EU-Taxonomie benennt aber in Artikel 9 zunächst ausschließlich sechs Umweltziele. Artikel zehn bis 15 erläutern diese dann näher. Auch dadurch entsteht bei Anlegern die Erwartungshaltung, dass „nachhaltiges Investieren“ mit einem hohen ökologischen Impact gleichzusetzen ist oder sogar nur daraus besteht.
Privatanleger sind dann schnell enttäuscht, wenn sie in die Portfolien „grüner“ Fonds schauen. Unter den Top-Ten-Positionen finden sich dann häufig Software-, Zahlungsverkehr- und Medizinunternehmen, mit denen man keinen direkten positiven Effekt auf die Umwelt verbindet. Außerdem findet man auch bei Firmen mit einem ordentlichen ESG-Score Schwachpunkte. In der Produktion, in den Lieferketten oder bei den Arbeitsbedingungen. Insbesondere bei international tätigen Konzernen entstehen Wechselwirkungen, hinsichtlich der Gesetzgebung sowie moralischer Werte vor Ort und dem Anspruch eines europäischen Investors. Oft steht dann der Vorwurf des Greenwashing im Raum, wenn die Kapitalanlage nicht der eigenen Nachhaltigkeitsagenda entspricht.
Herausforderungen für Finanzdienstleister
Umso wichtiger ist es für Vermögensverwalter, Finanzvermittler und Anlageberater, vorher auf die Komplexität hinzuweisen, die sich aus der Kombination der 17 SGD (UN-Nachhaltigkeitsziele), der EU-Taxonomie und den ESG-Anforderungen ergibt. Unterlässt man das, besteht relativ großes Enttäuschungspotential. Das ist spätestens dann der Fall, wenn Anleger einen Blick auf die Factsheets oder Halbjahresberichte werfen und die Portfoliozusammenstellung prüfen.
Label und Siegel als Maßstab für Nachhaltigkeit
Daher ist es hilfreich, wenn Finanzprodukte von möglichst unabhängigen Stellen gelabelt, geratet oder gescort werden. Neben bereits vorhandenen Label wie dem österreichischen Umweltzeichen, dem deutschen FNG-Siegel, dem deutschen ECO-Reporter-Siegel, dem skandinavischen Nordischen Umweltzeichen oder dem belgischen Towards Sustainability Siegel will die EU ein Nachhaltigkeitslabel für Fonds einführen. Das EU-Eco-Label wird bereits seit 1992 für Produkte und Dienstleistungen vergeben. Verbraucherinnen und Verbraucher sollen damit die Möglichkeit haben, umweltfreundlichere und gesündere Produkte sowie Dienstleistungen zu identifizieren. In Deutschland ist das Umweltbundesamt für das Label zuständig. Jetzt soll das Eco-Label auch für Finanzprodukte eingeführt werden. Dafür gibt es einen Kriterienkatalog. Die europäische Finanzmarktaufsicht ESMA hat mehr als 3.000 als nachhaltig beworbene Fonds hinsichtlich der geplanten Label-Kriterien geprüft.
Nur sehr wenige Fonds erfüllen die Kriterien
Das ernüchternde Ergebnis für konsequente Investoren: Nach einem Artikel des Fachmagazins ECO-Reporter würden nur 16 Fonds das Eco-Label bekommen. Also gerade einmal 0,5 Prozent der geprüften Produkte. Fast alle Fonds scheitern schon am ersten Kriterium. Um für das Label in Frage zu kommen, müssen die in einem Fonds enthaltenen Unternehmen mindestens 50 Prozent ihres Umsatzes mit Geschäften erzielen, die laut EU-Taxonomie als nachhaltig deklariert sind. Weitere Kriterien des Eco-Labels sind etwa der Ausschluss von Unternehmen, die mit kontroversen Waffen oder Tabakprodukten Geld verdienen. Bei Pestiziden und fossilen Energieträgern gelten Umsatzgrenzen von fünf Prozent. Zu den wenigen Fonds, die diese stringenten Kriterien erfüllen, gehören Aktienfonds wie der Erste WWF Stock Environment und der GLS Bank Aktienfonds, Mischfonds wie der Umweltspektrum Mix A und der FairWorldFonds sowie einige Microfinanzfonds wie IIV-Microfinanzfonds und der KCD Mikrofinanzfonds III. Rentenfonds befinden sich derzeit nicht darunter.
Probleme bei der Beratung und Strukturierung von Depots
Im Moment besteht zudem das Problem, dass die EU-Taxonomie bislang nicht vollständig ausgearbeitet ist. Künftig könnten mehr Unternehmen für das Eco-Label in Frage kommen, da die endgültigen Kriterien erst 2024 festgelegt werden. Daraus ergibt sich auch ein Problem bei der Strukturierung von konsequent nachhaltigen Wertpapierportfolios. Insbesondere bei kleineren Depots ist eine breite Streuung dann schwieriger. Das geht sogar so weit, dass selbst Institute, die einen guten Ruf im Bereich Nachhaltigkeit haben und auf eine Expertise verweisen können, die vor dem Pariser Klimagipfel liegt, ihren Kunden „empfehlen“ müssen, nicht zu strenge Nachhaltigkeitskriterien in der Dokumentation zu vermerken oder gar komplett auf Nachhaltigkeitspräferenzen zu verzichten, damit eine optimale Auswahl der trotzdem als nachhaltig eingestuften Finanzprodukte besteht.
Veränderung braucht Druck
Fazit: Für die Bekämpfung der Erderwärmung und der Erreichung der CO2-Ziele ist der ökologische Impact überproportional wichtig. Aus Sicht des Finanzsektors ist das Selektionskriterium Impact neben Ausschlusskriterien, Best-In-Class-Ansätzen, Themeninvestments, normbasiertem Screening, Engagement, Stimmrechtsausübung und ESG-Integration aber nur eines von acht Kriterien. Dass man sich wünscht, hofft oder verlangt, dass die negativen Effekte aus 200 Jahren Industrialisierung mit zehn Jahren nachhaltigen Investierens korrigiert werden, ist einerseits verständlich, aber auch nur schwer umsetzbar. Andererseits erscheint es in manchen Fällen auch als politisch kalkuliert, wenn behauptet wird, dass nachhaltiges Investieren nichts bringt. Da man, angesichts der Diskussionen über Energie- und Lebensmittelpreise, aber den Eindruck gewinnen muss, dass Veränderungen nur über einen gewissen Druck entstehen, ist die Steuerung der Geldströme in Richtung nachhaltiger Finanzinvestitionen eine sinnvolle Maßnahme, auch wenn die effektive Wirkung verzögert eintritt.
Gastautor Andreas Görler ist Senior-Wealth-Manager und zertifizierter Fachmann für nachhaltige Investments bei der -Wellinvest- Pruschke & Kalm GmbH in Berlin. Weitere Beiträge von ihm und anderen Vermögensverwaltern finden Sie auf www.v-check.de.
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