Geldschwemme gleich Inflation?
Vieles dreht sich derzeit um das Thema „Geldwertstabilität“.
Angesichts der Geldschwemme durch die rekordverdächtigen Rettungsprogramme praktisch aller Regierungen und der massiven Ausweitung der Zentralbankbilanzen bei gleichzeitig schrumpfendem Bruttoinlandsprodukt (BIP) klingt es erst einmal logisch, dass die Kaufkraft des Geldes abnehmen muss.
Seit Ausbruch der Corona-Krise haben Politik und Notenbanken über zwölf Billionen US-Dollar an zusätzlichen Mitteln bereitgestellt. Sie wollen damit die wirtschaftlichen Folgen der Lockdowns und sonstiger Einschränkungen abmildern. Im Vergleich zur letzten großen Rezession (2008/2009) investierten die meisten Länder bislang das Zehnfache der damaligen Summe (in Prozent des BIP) für die Rettungsaktionen. Das hat bisher jedoch keineswegs zu höheren Verbraucherpreisen (Inflation) geführt. Ganz im Gegenteil war die Inflationsrate in Europa jüngst sogar drei Monate in Folge rückläufig. Zuletzt lag sie bei minus 0,3 Prozent. Somit scheint aktuell eher eine Deflation zu drohen.
Verbraucherpreise versus Assetpreise
Zunächst ist es wichtig, zwischen der Verbraucherpreisinflation – das ist die gängige Definition des Begriffs „Inflation“ – und der Preissteigerung bei Sachvermögen (Asset Price Inflation) zu unterscheiden. Im Folgenden geht es ausschließlich um die Verbraucherpreisinflation und ihre mögliche zukünftige Entwicklung. Das Phänomen der Asset Price Inflation dürfte ohnehin unstrittig sein. Aktien, Wohnimmobilien, Kunst, Oldtimer etc. befinden sich bekanntlich seit Jahren im Höhenflug.
Geldschwemme allein kein Faktor
Im nächsten Schritt stellt sich die Frage, welche Faktoren die entscheidenden Auslöser für eine wirklich hohe Inflation sein können. Eine Geldschwemme, wie sie die Welt momentan erlebt, ist – zumindest für sich genommen – kein solcher Faktor. Ablesen lässt sich dies am Beispiel Japans. Dort hat sich die Bilanzsumme der Bank of Japan (BoJ), gemessen in Prozent des BIP, innerhalb der letzten zehn Jahre etwa vervierfacht. Trotz dieser massiven Ausweitung der Geldmenge befindet sich das Land der aufgehenden Sonne permanent am Rande einer Deflation.
Importe spielen auch noch eine Rolle
Zwischenfazit: Eine expansive Geld- und Fiskalpolitik kann in der Tat zu einer Steigerung der aggregierten Nachfrage führen, welche die Produktionskapazität eines Landes (aggregiertes Angebot) übersteigt. Für einen deutlichen Anstieg der Inflation ist ein Nachfrageüberschuss gegenüber der lokalen Produktionskapazität aber keine ausreichende Bedingung. Damit es zu einer signifikanten Inflationssteigerung kommt, darf die zusätzliche Binnennachfrage nicht von Extra-Importen zu stabilen Preisen erfüllt werden können. Nur dann kommt es zu Inflationsdruck. Dies kann nur passieren, wenn die lokale Währung signifikant abwertet.
Niemand da, gegen den man abwerten kann
Von der Historie wieder zurück zur Gegenwart. Wie bereits erwähnt, betreiben heute fast alle Länder eine sehr expansive Geld- und Fiskalpolitik, darunter die USA, die EU und Japan mit den systemrelevanten Währungen US-Dollar (60 Prozent der weltweiten Währungsreserven sind im Greenback denominiert), Euro (20 Prozent der weltweiten Währungsreserven) und Yen (6 Prozent). Wenn aber alle diese Länder gleichzeitig „Geld drucken“, gegen wen sollen die global führenden Währungen abwerten? Wenn es keine signifikanten Abwertungen gibt, wie sollte dann in Amerika, Europa oder Japan eine hohe Inflation entstehen? Grundsätzlich ist damit zu rechnen, dass Fed, EZB und BoJ auch weiterhin eine expansive Notenbankpolitik betreiben werden. Aufgrund der sehr hohen Verschuldung sämtlicher Industrienationen ist das internationale Finanzsystem sehr fragil – und zwar nicht erst seit Corona.
Hohe Duration – für immer gefangen in der Nullzinswelt
Wir leben also in einer Finanz- und Realwirtschaft mit sehr hoher Duration, also einer Kombination aus extrem hoher langfristiger Verschuldung und niedrigen Zinsen, die das System gegenüber Zinsänderungen äußerst sensibel macht. Schon relativ kleine Zinserhöhungen oder ein Zurückfahren der Anleihekäufe durch die Notenbanken würgen die Wirtschaft und die Börse sofort ab. Beispiele hierfür sind das „Taper Tantrum“ („Wutanfall der Märkte“) im Mai 2013, nachdem die Fed angekündigt hatte, ihre Anleihekäufe zu reduzieren, oder die Marktverwerfungen im Dezember 2018 – damals nach nur vier kleinen Zinsschritten verteilt über vier Quartale. Aufgrund der hohen Duration gehen die Finanzmärkte davon aus, dass die Zinsen für sehr lange Zeit oder sogar für immer bei bzw. unter null bleiben werden. Erst für das Jahr 2030 wird wieder mit einem leicht positiven kurzfristigen Zins gerechnet.
Japanisierung Europas weiterhin der base case
Das Szenario der „Japanisierung“ Europas bleibt somit intakt, wobei es hierfür natürlich keine 100prozentige Gewissheit gibt. Aktuell sehen wir im Wesentlichen drei Aspekte auf der Angebotsseite, die ein zumindest temporäres Überschießen der Inflation bewirken könnten (sogenannte Angebotsschocks). Dabei handelt es sich erstens um massiv steigende Rohstoffpreise. Der zweite Punkt wäre eine teilweise Zurückverlagerung der Produktion aus den Schwellen- in die Industrieländer. Dadurch entstünde für den Fall unterbrochener Lieferketten durch vermehrte lokale Kapazitäten wieder ein größerer Sicherheitspuffer. Drittens eine gravierende Anhebung der CO2-Steuer. Solche Angebotsschocks hätten steigende Produktionskosten zur Folge. Der Wahrscheinlichkeit dafür, dass einer dieser drei Aspekte nicht nur eintritt, sondern auch einen deutlichen Einfluss auf die Inflation ausübt, messen wir allerdings einen Wert von deutlich unter zehn Prozent bei.
Wiederbelebung der Inflation ist unwahrscheinlich
Fazit zum Thema Verbraucherpreisinflation: Solange alle führenden Länder dieselbe expansive Geld- und Fiskalpolitik verfolgen, ist nicht mit einer Abwertung von Währungen wie dem US-Dollar, dem Euro oder dem Yen zu rechnen. Dementsprechend ist auch eine signifikante Wiederbelebung der Inflation als sehr unwahrscheinlich anzusehen. Unwahrscheinlich heißt allerdings nicht unmöglich. Schließlich ist die Welt der Finanzmärkte nicht deterministisch, sondern stets probabilistisch. Ein Inflationsausbruch ist somit ein Tail Risk oder Schwarzer Schwan mit ex ante sehr geringer Eintrittswahrscheinlichkeit, dafür aber weitreichenden Folgen, falls es dann doch zu diesem Szenario kommen sollte.
Ein Blick auf die Schlussfolgerungen
- Keine in Euro denominierten AAA-Staatsanleihen. Hier sind die Renditen negativ und (leichte) Verluste somit programmiert. Sollte es wider Erwarten doch zu einer deutlich anziehenden Inflation kommen, wird dies bei entsprechenden Schuldverschreibungen mit längeren Laufzeiten (zum Beispiel zehn Jahre) zu gravierenden Kursverlusten im zweistelligen Prozentbereich führen.
- Aktien: Ja, aber. Die Bewertungen sind hier inzwischen sehr ambitioniert, im Vergleich zu anderen traditionellen Asset Klassen wie Staatsanleihen oder auch Immobilien in Ballungsräumen jedoch immer noch attraktiver. Im Falle eines Come Backs der Inflation könnten Unternehmen mit starker Wettbewerbsposition die höheren Produktionskosten an ihre Kunden weitergeben und so die Gewinnmarge und inflationsbereinigte Profitabilität stabil halten.
- Edelmetalle/Gold. Weiterhin als Portfolio-Hedge ein Muss. Gold ist die Absicherung im Portfolio, falls es zu einer hohen oder gar unkontrollierbaren Inflation kommen sollte. Eine Gewichtung von fünf bis zehn Prozent im Portfolio ist konsistent mit der niedrigen Eintrittswahrscheinlichkeit, die wir einer massiven Geldabwertung beimessen. Neben einem 1:1-Produkt auf Gold kommen als Ergänzung auch Silber und Minenaktien-Fonds in Betracht.
- Prämienstrategie und High Yield. Sie bleiben als Depotstabilisatoren auch 2021 wesentliche Bausteine. Zielsetzung ist und bleibt dabei das Erreichen aktienähnlicher Renditen bei deutlich geringeren Schwankungen. Der von beiden Konzepten zu erwartende mittlere einstellige Return ist in der heutigen Nullzinswelt attraktiv und er kann auch dann erreicht werden, wenn der Aktienmarkt stagniert oder leicht nachgibt.
Gastautor Rui Soares ist Investment Professional bei der FAM Frankfurt Asset Management AG in Frankfurt am Main. Weitere Beiträge von ihm und anderen Vermögensverwaltern finden Sie auf www.v-check.de.
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