ESG – Anleger buchstabieren Nachhaltigkeit
Wer mittel- und langfristig investieren möchte, sollte auch gesellschaftliche Entwicklungen und die damit verbundenen Wechselwirkungen auf Unternehmen und ihre Aktienkurse berücksichtigen.
ESG ist die englische Abkürzung für „Environment, Social, Governance“, also Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Der Begriff ist international etabliert worden, um auszudrücken, ob und wie bei Entscheidungen von Unternehmen und in der unternehmerischen Praxis sowie bei Firmenanalysen von Finanzdienstleistern ökologische und sozial-gesellschaftliche Aspekte sowie die Art der Unternehmensführung beachtet und bewertet werden.
Insbesondere bei der heterogenen Finanzdienstleistungsstruktur in Deutschland mit ca. 37.500 Beratern, 700 Vermögensverwaltern, 1.800 Banken, 45.000 freien und 140.000 abhängigen Versicherungsmaklern gibt es viele Unternehmen, die damit überfordert sind und entsprechende Beratungs- und Softwareunterstützung brauchen und einkaufen müssen. Das fördert auch die Geschäftsmodelle von Unternehmen, die dafür Dienstleistungen anbieten, zum Beispiel spezialisierte Beratungsunternehmen, ESG-Labelprovider, ESG-Datenprovider, ESG-Projektanbieter. Gerade im Label-Land Deutschland kann es dann auch zu einem Dschungel an unterschiedlichsten Kennzeichnungen kommen.
Green-Washing ist auch mit dabei
Außerdem springt dann auch das Marketing von Fondsgesellschaften an. Natürlich gibt es auch ein gewisses Potential an „Green-Washing“. Investoren müssen daher genaue Vorstellungen haben, was sie unter Nachhaltigkeit verstehen. Gerade bei größeren Investments sollte daher ein detaillierter Blick ins Fondsportfolio geworfen werden. Dann muss der Manager auch erklären, wie Kauf- und Verkaufsentscheidungen nach ESG-Kriterien umgesetzt werden.
Frisches Geld oder nur ein neues Etikett?
Es ist davon auszugehen, dass das Gesamtvolumen an entsprechenden Investments ansteigen wird, da auch größere Investmentgesellschaften wie Union Investment, Deka und DWS ihre Portfolios in den nächsten Jahren anpassen werden. Gerade größere Häuser haben sicherlich in dem Segment noch erhebliches Nachholpotential. Natürlich gibt es bereits Depotstrukturen, die seit Jahren oder auch Jahrzehnten nachhaltig ausgerichtet sind. Die bekommen dann nur ein anderes Etikett oder auch zusätzlich ein ESG- oder Umweltlabel. Hierdurch wird dann unter Umständen nur scheinbar zusätzliches Investitionsvolumen geschaffen.
Politiker sind damit oft überfordert
Dabei zeigt sich einmal mehr, dass solche Themen politisch schwer zu lösen sind. In der Europäischen Union zum Beispiel müssen Entscheidungen stets einstimmig getroffen werden. Meist kommt dabei nur ein sehr kleiner gemeinsamer Nenner als Ergebnis heraus. Zudem bedarf es eines finanziellen Drucks um solche Themen umzusetzen. Die von Politikern favorisierte Freiwilligkeit funktioniert meist nicht. Wenn man es Staaten und supranationalen Organisationen überlässt, ist die Reaktionszeit oft zu lang. Außerdem ist die Implementierung ohnehin eher ein Vorteil für eine Portfoliostruktur und kein Nachteil oder lästige Pflicht. Einige Fonds, die schon längst so investieren, konnten sich dadurch Themen wie Dieselgate oder andere Reputationsrisiken ersparen.
Druck auf das Management
Das waren schon Schritte in die richtige Richtung. Einige Unternehmensführungen gelangen so zum Umdenken, da auch Einflussmöglichkeiten durch das Voting auf Hauptversammlungen zunehmen könnten. So entsteht Druck auf das Management, wenn man feststellt, dass das eigene Unternehmen für immer weniger Anleger investierbar ist. Das kann dann beispielsweise auch positive Auswirkungen auf den Umgang mit den eigenen Mitarbeitern haben oder den Energie- und Rohstoffverbrauch eines Unternehmens beeinflussen.
Depot mit besserer Risikostruktur
Fazit: Völlig unabhängig von der politischen Einstellung ist es sinnvoll, bei der Strukturierung eines Wertpapierportfolios einen integrierten Ansatz zu verfolgen, der die Beziehungen der Unternehmen zur Gesellschaft berücksichtigt. Große Reputationsschäden wie in der deutschen Automobilindustrie, Umweltschäden oder Kosten durch wiederkehrende Verletzungen von Compliance-Richtlinien können so vermieden werden. Die Risikostruktur eines Depots verbessert sich dadurch. Zusätzlich ist davon auszugehen, dass immer mehr große Investoren wie Pensionskassen oder Versicherungen ihre Depots entsprechend umstrukturieren, so dass die ESG-Richtlinien einen Mindeststandard darstellen.
Wer es wirklich ernst meint, befasst sich allerdings noch stärker mit dem Thema „verantwortungsvolles Investieren“ unter Beachtung der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der UN (Sustainable Developed Goals, SDG). Im Moment stehen ca. 450 aktiv gemanagte Investmentfonds für Investitionen zur Verfügung. Es werden sicherlich noch deutlich mehr. Anleger, die es mit dem ESG-Engagement ernst meinen, müssen zukünftig selektiv vorgehen, um die Produkte zu finden, die zu ihrer Philosophie passen.
Gastautor Andreas Görler ist Senior-Wealth-Manager bei der Wellinvest Pruschke & Kalm GmbH
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