Mahnrufe der Präsidentin
Der Jahrhundert-Sprinter der Jamaikaner Usain Bolt scheint für die Unionsparteien beim Tempo ihrer Verhandlungen nicht gerade ein Vorbild zu sein.
In eher mühsamen Schritten, unterbrochen von kämpferischen Erklärungen über Wunschziele, vollziehen sich die Sondierungsgespräche. Diese sollen bis zum 15. November abgeschlossen sein. Eine Woche später entscheidet ein Parteitag der Grünen, ob überhaupt Koalitionsverhandlungen aufgenommen werden sollen. Alle vier Parteien sind trotz unübersehbarer Konflikte guten Mutes, dass die Verhandlungen bis Weihnachten ihr Ende finden. Bundeskanzlerin Angela Merkel würde so im Januar 2018 vom Deutschen Bundestag in ihrem Amt als Regierungschefin bestätigt.
Bei der Diskussion über die Rente halten sich Einigungen bisher in Grenzen. Konsens gibt es im Grundsatz beim Wunsch nach möglichst viel Flexibilisierung beim Renteneinstieg und auch bei der Lebensarbeitszeit. Die CSU-Forderung nach Ausweitung der Mütterrente dürfte sich in Regelungen für bedürftige Frauen, deren Leistungen nicht mehr auf die Grundsicherung angerechnet werden, beschränken.
Unbestritten scheinen eine Sozialversicherungspflicht für Selbstständige sowie die Einrichtung eines Online-Rentenkontos zu sein. Voreilige Meldungen, die abschlagsfreie Rente mit 63 nach 45 Versicherungsjahren werde wieder zurückgefahren, entsprechen wohl doch nicht der Wahrheit. Auch will man Aussagen über die weitere Entwicklung der Renten nach 2030 treffen, setzt aber auf eine große Reformkommission unter Beteiligung der relevanten gesellschaftlichen Gruppen. Der Vorsitzende der Wirtschafts- und Mittelstandsvereinigung der Unionsparteien, Carsten Linnemann, warnt deshalb vor „Klein-Klein-Entscheidungen bei der Altersvorsorge“. Ein schlüssiges von einer solchen Kommission zu entwickelndes Konzept müsse Erwerbsminderungsrente und Mütterrente in einem Gesamtkontext behandeln.
Weitere „Wohltaten“ aus dem Bundeshaushalt finanzieren
Bei so viel rentenpolitischem Ehrgeiz wird der Präsidentin der Rentenversicherung, Gundula Roßbach, wohl angst und bange um die Stabilität ihrer aufgrund geringer Arbeitslosigkeit gut gefüllten Kasse. Deswegen hat sich die DRV-Chefin mitten in den Koalitionsverhandlungen zu Wort gemeldet und vor teuren Geschenken auf Kosten der gesetzlichen Versicherung gewarnt.
Gewitzt durch die Erfahrungen mit der in der letzten Legislaturperiode durchgesetzten Mütterrente mahnte Roßbach, weitere Wohltaten gefälligst aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren. Das gelte für eine eventuelle Anhebung der Mütterrente, aber auch für eine Aufstockung der Renten für Geringverdiener. Wenn die Politik der Auffassung sei, höhere Renten für bestimmte Gruppen zahlen zu wollen, sei das ihr gutes Recht. Das müsste aber dann nicht vom Solidarsystem der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern aus Steuermitteln bezahlt werden. Wolle man für weitergehende Leistungen wieder die Rentenkasse in Anspruch nehmen, sei ein „Beitragssatzanstieg in dieser Legislaturperiode wahrscheinlich“.
Mütterrente zu teuer
Dass seit 2014 rund 9,5 Millionen Frauen mit vor 1992 geborenen Kindern bei der Rente ein zusätzliches Jahr Erziehungszeit angerechnet wird, kommt der Rentenversicherung mit rund sieben Milliarden Euro im Jahr teuer. Nicht die Steuerzahler werden für diese von der CSU bei der letzten Regierungsbildung durchgesetzten Mütterrente in Anspruch genommen. Herhalten muss die Rentenkasse, deren Rücklage immer mehr schmilzt. Nur die wachsende Zahl der Beitragszahler und die steigenden Löhne haben dafür gesorgt, dass die Rentenkasse aktuell noch nicht in der Krise ist. Selbst die auch kontraproduktive von der SPD durchgesetzte Rente mit 63 nach 45 Versicherungsjahren war „preiswerter“ als die Mütterrente. Berechnungen des IW Köln zeigen, dass diese Regelung eine halbe Milliarde 2015 und knapp 1,2 Milliarden Euro in diesem Jahr gekostet hat.
Ausblick für die Zeit nach 2030
Roßbach forderte die Verhandler der Jamaika-Koalition auf, langfristige Perspektiven für die Zeit nach 2030 aufzuzeigen. Ein Zeithorizont, der im Wahlkampf so gut wie ausgeblendet wurde. Für die SPD kam ein höheres Renteneinstiegsalter nicht infrage. Die CDU verwies auf die Einsetzung einer großen Rentenreformkommission, in der unter Beteiligung der wichtigen gesellschaftspolitischen Gruppen ein Zukunftskonzept erarbeitet werden soll.
Der Chef des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, Rainer Klingholz, nennt diese Haltung der Parteien „vorauseilenden Gehorsam gegenüber älteren Wählern“. Wenn die Menschen ständig älter werden, könne der künftige Rentenbeginn nicht bei 67 Jahren bleiben. Der renommierte Forscher hat auch eine Lösung parat: „Wenn die Menschen länger leben, sollte sich der Gewinn an Lebenszeit anteilig auf Arbeit und Rente verteilen. Das heißt: Mit jedem hinzugewonnenen Jahr verzögert sich der Renteneintritt automatisch um acht Monate. Wenn man sich darauf einigte, ließe sich das Thema Rente aus der politischen Debatte und dem Wahlkampf heraushalten.“ Klingholz ist überzeugt, dass dies kein frommer Wunsch ist, „denn die Bürger sind ja schlauer, als die Politik vermutet“.
Europaweites Vorsorgeprodukt PEPP
Der Deutsche Bundestag ist während der Koalitionsverhandlungen so gut wie arbeitslos. Erst Ende November findet die nächste Sitzung des Parlaments statt. Auch der Bundesrat spürt den Stillstand in der Gesetzgebung. Die Länderkammer richtet vorübergehend ihren Blick nach Europa. Auf dem Tisch liegt eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rats über ein europaweites Altersvorsorgeprodukt mit dem verheißungsvollen Titel „PEPP“. Diese Abkürzung steht für Pan-European Pension Product. Grundsätzlich wird die Schaffung dieses Produkts begrüßt. Gleichzeitig heißt es aber auch, dass sich die Vorteile für den Verbraucher in engen Grenzen halten.
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