Launiges Plädoyer für eine Dramaturgie des Alterns
Statt wissenschaftlicher Studien mal Literatur zu einem demografischen Tatbestand. Ein Leseappetitmacher zum Buch von Ludwig Hasler „Für ein Alter, das noch was vorhat. Mitwirken an der Zukunft“.
Alternden Leserinnen und Lesern, die Lust darauf haben, auch im Alter mehr vorzuhaben, als zu reisen und zu konsumieren, und die noch eine „Antenne für das Transzendente“ ausfahren können – diejenigen wird die Lektüre dieses fulminanten Buches begeistern.
Wer dagegen seine „Welt als kalkulierbare Vergütungsanstalt“ betrachtet und in seiner „gesättigten Gegenwartszufriedenheit“ mit der „Ich-Bewirtschaftung“, der „Selbst-Optimierung“ und dem „Dichte-Stress“ voll beschäftigt ist und die Endlichkeit seines Lebens nicht leugnet, aber schlicht ignoriert – diejenigen dürfte das intensive Plädoyer von Hasler für eine „Dramaturgie des Alterns“ ziemlich verstören.
Hasler zeigt schonungslos die vorherrschende Perspektivlosigkeit auf und verweist dabei auf die – trotz aller Vorsorgeuntersuchungen – kaum beherrschbaren gesundheitlichen (Krebs, Herzinfarkt) und geistigen Risiken wie Depressionen, Alkoholismus, Burn-Out. Dem bisher üblichen „Lebensabend“ setzt er seine Wortschöpfung „großer Lebensnachmittag“ entgegen. Er macht damit bildhaft klar, wie sehr sich die „Regie des Alterns“ ändert. Das Lesen macht bei diesem Buch einfach immer wieder Spaß: tiefgründig, aber konkret, in der Sprache wie ein Theaterstück verfasst.
Hauptbühne statt nur Nebenbühne
„Was tun wir mit den geschenkten Jahren?“ Auf diese zentrale Frage antwortet Hasler: „Wir sind nicht nur Akteure auf der Nebenbühne des Alters, wir spielen mit auf der Hauptbühne, mit unserer alterserworbenen Intelligenz, einer reaktivierten Altersweisheit, die mit der Intelligenz der Jüngeren nicht konkurriert, sie vielmehr ergänzt. So können wir noch im Alter aktiv an einer gemeinsamen Zukunft teilnehmen, auch wenn diese Zukunft nicht mehr unsere sein wird.“ Weiter an anderer Stelle: Das Alter „könnte zur Bühne unreglementierter Entfaltung werden. Zum innerweltlichen Paradies ist alles da: Zeit, Freiheit, Fitness, Geld. Nicht bei allen, schon gar nicht bei allen gleich. Immerhin bei vielen ausreichend.“ Diese vielen, etwa drei Viertel der Alternden, sind seine Zielgruppe.
Weiterhin mitwirken trotz des Alterns
Er unterlegt seine These „Wir leben auch im vorgerückten Alter vom Mitwirken und Einwirken“ mit drei gut verständlichen „Erinnerungen“. Die anthropologische liest sich so: „Das Geheimnis des glücklicheren Alters könnte in der uralten Einsicht gründen, wonach der Mensch ein soziales Wesen ist (Aristoteles und 127 weitere Großdenker) und dass dieses Sozialwesen …seine Höchstform erreicht…an etwas mitzuwirken, das bedeutender ist als sein Ego.“ Diese Art von Transzendenz durchzieht das ganze Buch.
Wie im Theater: ohne Rolle fällt man aus dem Stück
Die genetische Erinnerung leitet er mit dem Satz ein: „Wer (gemeint: früher) im Alter versorgt werden wollte, tat gut daran, sich nützlich zu machen in Werkstatt und Hof, solange es ging.“ Anschließend formuliert er die Frage: „Können wir es denn nicht 25 Jahre einfach schön haben?“ und antwortet: „Sicher, nur finden wir das dummerweise bald nicht mehr so schön.“ Die soziologische, vielleicht eher die demografische Erinnerung hat er zum Teil vorweggenommen: „Der sogenannte Generationenvertrag ist nicht beliebig elastisch. Er erträgt es auf Dauer nicht, dass eine anschwellende Fraktion von Passivmitgliedern einfach abhängt und stets länger Siesta macht. Abgesehen davon, dass wenige Alte scharf darauf sind, sich demnächst zu Tode zu langweilen.“ Schließlich ergänzt er diese dritte Erinnerung. Mitwirkung und „Arbeit in der Gesellschaft gleicht der Rolle im Theater. Ohne Rolle falle ich aus dem Stück. …Im demografischen Verlauf sind wir unverdiente Gewinner, die Jungen langfristig unverschuldete Verlierer.“
Lizenz zu vertrotteln am tatsächlichen Lebensabend
Die Vorteile der längst fälligen längeren Lebensarbeitszeit demonstriert er an vier „glücklich tätigen Älteren“ und einigen anderen Freiwilligen-Projekten. Darum geht es ihm letzten Endes: Wie kann man beim Altern mehr Glück und Erfüllung, mehr Lebenssinn buchstäblich erleben? Er schließt das Buch mit der „Lizenz zu vertrotteln“ am wirklichen Lebensabend und frei nach Odo Marquard dem Zeitvertreib mit einer „soliden Schandmaulkompetenz“. Bravo.
Ludwig Hasler: Für ein Alter, das noch was vorhat. Mitwirken an der Zukunft. Zürich, 2019
Nachricht an die Redaktion
Senden Sie Hinweise, Lob oder Tadel zu diesem Artikel an die DIA Redaktion.
Ausgewählte Artikel zum Thema
„Wir haben ein falsches Altersbild“
Senioren sind digitale Analphabeten, wenig mobil und nicht mehr für den Arbeitsmarkt brauchbar. Gegen dieses völlig überholte Bild der älteren Generation macht sich die Gründerin des Forums „Alterskompetenz“ stark. Das Forum „Alterskompetenz“ bietet Kurse und Online-Veranstaltungen für die Generation 50plus an rund um das Thema Älterwerden mit Schwerpunkt Digitalisierung. Wie bereite ich mich auf die […]
Artikel lesenLebenserwartung: Länger leben in Süddeutschland
In Deutschland werden die Menschen je nach Wohnort oder Region unterschiedlich alt. Differenzen von mehr als fünf Jahren dokumentiert eine Auswertung der durchschnittlichen Lebenserwartung in allen 402 Kreisen. Sie führt auch einige Ursachen an. Nach Berechnungen des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung Rostock (MPIDR) gibt es beim Vergleich der durchschnittlichen Lebenserwartung im Osten mehr Landkreise mit […]
Artikel lesenDas Ehrenamt wird mit Lebenssinn vergütet
Mit 65 oder 70 noch einmal Woche für Woche in die Schule gehen? Auf 1.300 Mitglieder des Verbandes Seniorpartner in School (SiS) trifft das zu. Ein Gespräch mit Matthias Kraemer, Vorsitzender des SiS-Landesverbandes Bayern, über Zweck und Ziel dieser Schulbesuche. Der Verband legt Wert darauf, dass der komplette Name auf Englisch gesprochen und verstanden wird, […]
Artikel lesen