Wie viel Paternalismus darf es sein?
Da Menschen durch mentale Barrieren systematisch zu fehlerhaften Entscheidungen verleitet werden, schlagen Verhaltensökonomen politische Interventionen durch sogenannte Nudges vor. Zum Beispiel in der Altersvorsorge. Doch wie weit dürfen solche „Verhaltenssteuerungen“ gehen?
Diese Frage untersucht die jüngste Studie des Deutschen Instituts für Altersvorsorge (DIA) mit dem Titel „Mit einem Stupser zum Sparen – Nudging in der Alterssicherung: Potenzial, Legitimierung und Wirkmechanismen“. Sie setzt sich dabei auch mit dem sogenannten „libertären Paternalismus“ auseinander.
Unter Nudging verstehen die Verhaltensökonomen spezielle Entscheidungsstrukturen. Diese enthalten zum Beispiel bestimmte Standardeinstellungen. Sie schließen jedoch andere Optionen nicht aus. Das soll dazu führen, dass Menschen mit größerer Wahrscheinlichkeit in ihrem eigenen besten Interesse handeln. Nudging liefert also eine Art „Anstupser“, der zu klugen Entscheidungen verhelfen soll. Das Verhalten wird damit in eine bestimmte Richtung gelenkt. Gleichzeitig bleibt aber die Freihheit, sich gegen diese Steuerung zu entscheiden.
Ein Nudge, so die Verhaltensökonomen, müsse leicht und ohne großen Aufwand zu umgehen sein. Er sei ein Anstoß, keine Anordnung. Daher bezeichnen die Befürworter von Nudging es auch als libertären Paternalismus. Es ist sozusagen eine Verführung zum Guten. Doch dieser sanfte Paternalismus erfährt auch Kritik. Ihm liege ein Menschenbild zugrunde, das eben nicht vom mündigen Bürger ausgeht, sondern vom schützenswerten Menschen. Selbst wenn man sich Letzterem anschlösse, bleibe immer noch der Einwand, ob mit dem Paternalismus wirklich das Richtige für den Einzelnen angestrebt werde, wendet Studienautorin Nora Stampfl ein. Letztlich könne doch nur der Einzelne zum Beispiel darüber entscheiden, welche Altersvorsorge die richtige für ihn ist.
Prinzipien fürs Nudging
Die Studie führt aber auch Stimmen an, die Nudging mit der menschlichen Autonomie für vereinbar halten. Es löscht danach keineswegs die Entscheidungskompetenz des Individuums völlig aus. Diese Autonomie bleibe gewahrt, wenn eine Reihe von Voraussetzungen erfüllt sind. So müssen die Entscheidungsstrukturen, die für das Nudging konstruiert werden, allein der Verfolgung individueller Ziele dienen. Zweitens sollten die Hürden für das Opting-Out, also die Umgehung der voreingestellten Lösung niedrig sein. Drittens muss das Prinzip der Öffentlichkeit gelten. Nudging darf also nicht als vertrauliche Abmachung zwischen zwei Seiten stattfinden. Viertens: Die Funktionsweise des Nudges muss transparent sein. Den damit Angesprochenen muss also klar sein, was genau passiert, wenn sie die ein oder andere Option wählen.
Lerneffekte bleiben aus
Diese Anforderungen erfüllen zum Beispiel personalisierbare Default-Regeln mit Opting-Out-Möglichkeit oder Auswahlaufforderungen. So könnte zum Beispiel bei einem Vorsorgeprogramm die Default-Einstellung auf Teilnahme lauten. Wer das nicht möchte, muss aktiv widersprechen. Nudging, darauf weist die Studie ebenfalls hin, kann aber auch einige ungewollte „Nebenwirkungen“ haben. So unterbindet es Lerneffekte. „Werden Verhaltensanomalien alleinig durch Nudging korrigiert, bestünde keine Chance für eine nachhaltigere Korrektur durch die Ingangsetzung von Lernprozessen“, stellt die Studienautorin Nora Stampfl fest. Die eigene Auseinandersetzung nimmt der Paternalismus seinen „Schützlingen“ ab.
Ausreichend Legitimation?
Hinzu kommt die Frage nach der Legitimierung. Anders als klassische Maßnahmen der Verhaltensregulierung, wie zum Beispiel Gesetze oder Verordnungen, wird Nudging als mildes Mittel der Einflussnahme betrachtet. Ob sich daraus allerdings ableiten lässt, dass es aus diesem Grund keiner demokratischen Legitimation bedarf, bezweifelt die Studienautorin. Allein schon, weil keinesfalls feststehe, dass ausnahmslos jede Form des Nudging wirklich nur eine milde Form von Paternalismus darstellt. Schlussfolgerung daraus: Wann immer Bürger mit Nudging konfrontiert sind, indem durch eine Voreinstellung eine bestimmte Wahl nahegelegt wird, sollte eine aktive Wahl zwischen der voreingestellten Option und der Opting-Out-Option vorgeschrieben sein.
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