Altersvorsorge beim Einkaufen
Altersvorsorge mit Edeka oder Aldi. Auf diese einfache Formel lässt sich der Vorschlag einer Digirente reduzieren, die zwei Wissenschaftler unlängst ins Gespräch brachten.
Die Idee kam Paul Bernd Spahn vor einem Automaten für Paybackpunkte. Er hatte gerade eingekauft und fragte aus Neugier seinen Rabattgewinn ab. 20 Euro Guthaben zeigte das Display an. Wenn es nach dem System von Payback geht, fließt das angesammelte Guthaben wieder zurück in den Konsum. Beim Prämieneintausch oder bei der Bezahlung des nächsten Einkaufs.
Wie wäre es, wenn dieses Geld nicht ausgegeben würde, sondern in ein aktienorientiertes Anlagekonto flösse, fragte sich Spahn. Sein Gedanke führt sogar noch einen Schritt weiter. Könnten damit nicht für alle eine automatische Altersvorsorge aufgebaut werden? „Ähnlich wie die Mehrwertsteuer wird ein Prozent der Kaufsumme als Einzahlung für ein Altersvorsorgekonto abgezogen. Aber anders als die Steuer fließt das Geld nicht anonym in den Haushalt des Staates, sondern als personalisierter Abzug auf das eigene oder das Konto eines Dritten. Ältere, deren Rente schon gesichert ist, könnten dies zum Beispiel zu Gunsten der Kinder oder Enkel einzahlen“, erläutert Paul Bernd Spahn, Professor emeritus der Goethe-Universität in Frankfurt, sein Konzept.
Digitalisierung macht es möglich
Noch vor einigen Jahren wäre ein solches Verfahren undenkbar, weil viel zu aufwändig gewesen. Durch die Digitalisierung lassen sich inzwischen auch solche Kleinstbeträge ohne nennenswerten Aufwand erheben und einer Kapitalsammelstelle zuführen. „Diese Aufgabe übernimmt der Zahlungsdienstleister, der die bargeldlosen Zahlungen abwickelt“, fügt Spahn hinzu. Er hat länger darüber nachgedacht, wer diesen Fonds führen sollte. Zunächst schwebte ihm das Modell des norwegischen Staatsfonds vor, in den die Einnahmen aus der Ölförderung des Landes fließen. „Aber es sollte besser keine staatliche Einrichtung sein, schon um einen Wettbewerb für unterschiedliche Anbieter solcher Anlagekonten zu ermöglichen.“
Wechsel des Paradigmas
Spahn hat nachgerechnet: Wenn der Konsum bis zum 70. Lebensjahr für diese einprozentige Abgabe zugrundegelegt wird, ergibt sich als Vermögenswert das Sechs- bis Siebenfache des Konsums aus dem letzten Jahr vor der Rente, nimmt man eine Verzinsung an, wie sie der norwegische Pensionsfonds erzielt. Dann könne man sich noch darüber unterhalten, ob dieses Altersvermögen eventuell von der Einkommensteuer befreit wird. „Aber das sind am Ende alles nur Details. Das Wesentliche daran ist, wir ändern mit diesem Verfahren das Paradigma für ein neues Werkzeug der Altersvorsorge. Es setzt nicht am Einkommen an, wie bisher üblich bei Sparvorgängen, sondern am Konsum.“
Konsum als Ausgangspunkt
Der Vorzug dieses Paradigmenwechsels: Jeder ist beteiligt, weil alle konsumieren. Beim Sparen taucht häufig der Einwand auf, Geringverdiener könnten nur wenig oder gar nichts zurücklegen, weil sie über kein überschüssiges Einkommen verfügen. Setzt man am Konsum an, verschwindet dieser Einwand zwar aus dem Blickfeld, dennoch bleibt die Belastung. „Aber wir reden hier über ein Prozent“, wendet Spahn ein. „Bei der letzten Mehrwertsteuererhöhung stieg der Abzug um drei Prozentpunkte. Außerdem ist es ja keine Steuer im herkömmlichen Sinne, sondern der Konsument erwirbt im Gegenzug einen Anspruch. Das Schöne daran ist, dieser Anspruch entspricht dem Lebenskonsum in den Vorjahren. Er spiegelt den bisherigen Lebensstandard wider.“
Paradigmenwechsel stoßen in aller Regel auf ein großes Beharrungsvermögen in der Gesellschaft. Das musste auch Spahn feststellen. Als er anfangs mit Kollegen darüber diskutierte, führten die erst einmal alle möglichen Einwände ins Feld. Auch die Politik werde sich schwertun, solch einen großen Schritt zu gehen. Christian Rieck, Professor für Finance an der Frankfurt University of Applied Sciences, der das Konzept der Digirente mit entwickelt hat, hofft daher auf Vorreiter. „Im europäischen Maßstab könnte das zum Beispiel Estland sein. Kleinere Länder fangen damit an und zeigen, dass es funktioniert.“ National plädiert Rieck für eine stufenweise Einführung, indem es auf freiwilliger Basis von einigen Vorreitern ausprobiert wird. Die technischen Voraussetzungen seien doch alle vorhanden. „Der Kunde gibt ein Konto beim Zahlungsdienstleister an, der übernimmt den Abzug und die Weiterleitung des Sparbeitrages. Schon heute lassen sich solche Informationen hinterlegen“, stellt Rieck klar.
Karte für Bargeldkäufe
Aber was ist mit den Bargeldkäufen, die in Deutschland immer noch einen großen Anteil einnehmen? Zum einen ist Christian Rieck überzeugt, dass sie in einigen Jahren schon deutlich seltener auftreten. Zum anderen schwebt ihm auch dafür eine Lösung vor: „Dann muss wie eine Art Paybackkarte vorgelegt werden, damit der Abzug dem eigenen Konto gutgeschrieben wird. Liegt keine solche Karte vor, geht der Digi-Cent in einen Solidarfonds, mit dem auch Ausgleichsmechanismen im System finanziert werden können.“
Vergütung für die eigenen Daten
Ohnehin stellt er sich etliche Anwendungen unter den Bedingungen der Digitalisierung vor. „Wer heute am Payback-System teilnimmt, stellt die Daten zu seinem Einkaufverhalten kostenlos zur Verfügung. Heute nutzen viele digitale Plattformen die Daten der Kunden gratis. Bei der Digirente könnte die Regelung gelten, dass diese Daten nur zur Verfügung stehen, wenn sich der Zahlungsdienstleister mit an der Finanzierung der Digirente beteiligt. Der Kunde gestattet es in einem transparenten Verfahren. Aus einem Cent werden so zwei oder drei.“
Auch andere Ausgleichsmaßnahmen stellen sich Rieck und Spahn vor: Ältere Käufer zahlen ihren Digi-Cent in ein Konto der Kinder oder Enkel ein. Vermögende, die keinen Bedarf an dieser ergänzenden Rente haben, leiten ihren Abzug an einen Solidarfonds weiter. „Es könnte eine Default-Variante geben. Wer kein Konto benennt, dessen Ein-Prozent-Abzug fließt in dieses Solidarkonto.“
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