Alles nur Spielerei?
Die verspielte Gesellschaft ist längst Realität. Wer Level, Quests und Punkte nur auf den Spielkonsolen der Kinder und Jugendlichen sucht, geht mit geschlossenen Augen durch die Welt.
Längst haben auch Verkäufer, Entwickler und Manager diese motivationsfördernden Elemente entdeckt. Spielend zum Ziel, heißt die Zauberformel. Aber lassen sich diese Strategien auch zur Förderung der Altersvorsorge nutzen oder führt ein solcher Gedanke geradewegs zum Tabubruch?
Von Spielifizierung oder neudeutsch Gamification ist die Rede, wenn Elemente aus Spielen in spielfremde Umgebungen übertragen werden, um zum Beispiel Mitarbeiter, Konsumenten oder Lernende zu motivieren und ihnen einen zusätzlichen Spaßfaktor zu verschaffen, der bei der eigentlichen Beschäftigung sonst gar nicht vorhanden ist. Mit Hilfe von sogenannten „Game Mechanics“ wie Erfahrungs- oder Gewinnpunkten, Anerkennungen oder Statusverbesserungen sollen zum Beispiel Kunden und Käufer dazu motiviert werden, länger einen Service zu nutzen oder ein Produkt beziehungsweise eine Leistung häufiger zu erwerben, als sie es ohne den Einsatz dieser spieltypischen Mechanismen getan hätten.
Allerdings gehen die Meinungen auseinander, wo die Grenze zwischen Anreizprogrammen der herkömmlichen Art und der Gamification verläuft. „Meilenprogramme und ähnliche externe Motivatoren machen noch kein Spiel aus. Bei einem wirklichen Spiel muss man den Menschen im Inneren packen, also eine intrensische Motivation erreichen, damit er von sich aus beim Spiel bleibt. Die bloße Vergabe von Punkten, die sich gegen etwas eintauschen lassen, zählt meiner Ansicht nach noch nicht zur Gamification“, meint Nora Stampfl, Autorin des unlängst erschienen Buches „Die verspielte Gesellschaft: Gamification oder Leben im Zeitalter des Computerspiels“. Darin untersucht sie, inwieweit die Spielifizierung in verschiedenen Bereichen unserer Gesellschaft bereits Einzug gehalten hat. Beispiele, in denen Gamification in der Planung und Organisation der eigenen Altersvorsorge eine Rolle spielt, fand sie bei den Recherchen zu ihrem Buch kaum, so ihre Erfahrung. „In den USA ließe sich das vielleicht bei einigen Modellen für die persönliche Finanzplanung behaupten, aber diese sind noch recht weit von einem wirklichen Spiel entfernt.“
Der Kommunikationswissenschaftler Sebastian Deterding, der neben seiner Promotion an der Graduate School „Media and Communication“ der Universität Hamburg im Forschungs- und Transferzentrum „Digitale Spiele und Onlinewelten“ des Hans-Bredow-Instituts für Medienforschung arbeitet, verweist auf den Amsterdamer Spieleentwickler „Flight 1337“, der darauf spezialisiert ist, mit Hilfe von Spielstrategien Aufmerksamkeit für Marken, Konzepte, Ereignisse und Produkte zu generieren. „Flight 1337“ hat bereits Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Versicherern. Auch in anderen Ländern, wie zum Beispiel Südafrika gebe es Versuche wie das Startup 22seven, das Nutzer unterstützt spielerisch Lebensziele und Wünsche herauszuarbeiten und dann ihr finanzielles Verhalten entsprechend anzupassen. „Je anschaulicher und greifbarer diese Ziele sind, um so motivierender ist das Spiel“, nennt Deterding einen Erfolgsfaktor. „In einem zweiten Schritt lernt der Spieler dann, was erforderlich ist, damit diese Lebensziele in Erfüllung gehen. Mit Drag and Drop und Schiebereglern lassen sich etwa verschiedene Simulationen durchspielen.“ Der Spieler erfahre dann zum Beispiel, dass er mit dem vorhandenen Vermögen die für das Alter erträumten Tage auf dem eigenen Bauernhof vergessen und allenfalls in eine kleine WG einziehen kann.
Im Grunde handelt es sich dabei um als Spiele verpackte Altersvorsorgerechner. „Nackte Zahlen sind unsexy. Außerdem wird man bei den Altersvorsorgerechnern der traditionellen Art nicht strukturiert angeleitet, um seine eigenen Ziele und Wünsche in Erfahrung zu bringen. Obendrein müssen die eigenen Pläne wieder in Zahlen übersetzt werden. Spätestens daran scheitern die meisten Menschen. Spielerisch kann das schon eher gelingen.“
Ernste Angelegenheiten und Spiele schließen sich nicht aus
In Deutschland hat Sebastian Deterding dergleichen allerdings noch nicht beobachtet. „Hierzulande treten neue Technologietrends in der Regel im Vergleich zum angelsächsischen Raum mit einer Verspätung von 18 bis 24 Monaten auf. Zudem ist in Deutschland die Trennung zwischen Ernst und Unterhaltung ausgeprägter“, nennt Deterding einige Gründe aus seiner Sicht dafür, weshalb in Deutschland die Gamification für die Altersvorsorge noch keine Rolle spielt. Oder scheuen sich Anbieter von Altersvorsorgeprodukten womöglich vor dem Tabubruch, wenn Altersvorsorge „ins Spiel kommt“? Fürchten sie den Vorwurf, man könne um vieles spielen, aber keinesfalls um Altersvorsorge?
Doch den Einwand, dass ernste Dinge und Spiele sich einander ausschließen, hat die amerikanische Spieledesignerin Jane McGonigal längst entkräftet. Von ihr stammt die Feststellung, es sei eigentlich Wahnsinn, dass so viel Zeit und Energie in Computerspiele fließe, ohne dass dabei etwas Vernünftiges herauskomme. Aus diesem Grund hat sie die Spiele „Evoke“ „World Without Oil“ und „Superstruct“ entwickelt, mit denen diese Energie kanalisiert und in nutzbringende Projekte umgeleitet werden soll. „Mit diesen Spielen verfolgt sie kein geringeres Ziel, als die großen Weltprobleme zu lösen, indem sie spielerisch ein globales Brainstorming in Gang setzt“, fügt Nora Stampfl hinzu. Das Frappierende daran: Die Absicht geht auf.
„Evoke“ – Entwicklungshilfe für Afrika
Im Fokus des Spiels standen die Entwicklungsprobleme in Afrika, die durch die weltweite Zusammenarbeit der Gaming-Community bekämpft werden sollten: Hunger, Armut, Seuchen, Klimawandel, Bildung und Menschenrechte. Insgesamt registrierten sich 19.324 Menschen aus 150 Ländern für die Teilnahme, davon waren 4.693 aktive Spieler. Im Laufe der zehn Missionen wurden 23.500 Blog-Einträge, 4.700 Fotos und über 1.500 Videos produziert. Die Spieler entwickelten Ideen, vernetzten sich, kommentierten Projekte, tauschten Informationen aus und bewerteten die Qualität dieser Informationen.
„World Without Oil” – simulierte Ölkrise
Das Spiel richtete die kollektive Intelligenz auf das Problem der globalen Ölknappheit. Sechs Wochen lang wurde eine weltweite Ölkrise simuliert und nach den Ursachen geforscht. Die Spieler hatten während des Spiels Zugriff auf Echtzeit-Ölpreise und erhielten Informationen über den Einfluss auf regionale Ökonomien, Gesellschaften und Lebensqualitäten. Auf der Grundlage dieser Informationen entwickelten die Spielteilnehmer Szenarien, wie die Krise sie persönlich betreffen und sich in ihrer jeweiligen Umgebung bemerkbar machen würde. Erfahrungen wurden ausgetauscht und Vorschläge gemacht, wie wir unsere Ölabhängigkeit überwinden könnten. Als Ergebnis des Spiels existiert heute ein Online-Archiv der von den Spielern erarbeiteten Ausblicke und Lösungen.
„Superstruct“ – Lösungen für die Weltprobleme
Während der sechswöchigen Spieldauer sollten sich die Spieler ins Jahr 2019 versetzen und den großen Zukunftsfragen nachgehen, indem sie sich mit den vom „Global Extinction Awareness System“ (GEAS) identifizierten Problemen wie Ausbreitung von Pandemien, Nahrungsmittelversorgung, große Wanderungsbewegungen in Folge von Kriegen, Klimakatastrophe, Wirtschaftszusammenbrüche, Datensicherheit, Kampf um Öl stellten. Die Spieler sondierten diese Probleme und suchten nach Lösungen, um das menschliche Zusammenleben zukunftstauglich zu gestalten.
„Im Laufe des Spiels wurden Unternehmen gegründet, wovon einige noch heute existieren, wie zum Beispiel die Initiative ‚Libraries Across Africa’, ein Franchisesystem, das lokale Unternehmer dabei unterstützt, kostenlos zugängliche Gemeindebibliotheken einzurichten“, resümiert Nora Stampfl. Wenn sich globale Weltprobleme spielerisch behandeln lassen, dann kann auch die individuelle Altersvorsorge kein Niemandsland für Gamification sein. Derartige Strategien böten zudem die große Chance, dass sich junge Menschen mit diesem Thema beschäftigen, das sie heute in aller Regel ausblenden. Allein das wäre nach Meinung der Buchautorin Stampfl schon ein großer Gewinn. „Es müsste also zunächst gar keine direkte Anbindung an einen Sparvorgang installiert werden.“ Mit auf Altersvorsorge zugeschnittenen Spielen würden Communities entstehen, die dann zum Beispiel auf ein Portal gelenkt werden könnten, das zusätzliche Informationen liefert und gewecktes Interesse zu einem Vertragsabschluss weiter entwickeln könnte.
Obwohl es auf den ersten Blick nicht so erscheint: Spiele sind im Finanzbereich auch in Deutschland nichts völlig Unbekanntes. So führen Banken gemeinsam mit Redaktionen schon seit Jahren zum Beispiel Börsenspiele durch, bei denen die Teilnehmer ihre Modellportfolios gegeneinander ins Rennen schicken. Allerdings wird damit nur ein kleiner und in Finanzangelegenheit schon sehr kundiger Teil der Bevölkerung erreicht. Dieser kann aber durch solche Börsenspiele durchaus zu (weiteren) echten Investitionen animiert werden.
Auch das PS-Sparen ist eine spezielle Form des Spiels, nämlich des Gewinnspiels. Es ist übrigens bislang die einzig bekannte Spielidee aus dem Finanzbereich, bei der tatsächlich Geld auf ein Anlagekonto fließt.
Die Verzahnung von Spielideen mit tatsächlichen Sparvorgängen ist wahrscheinlich die Achilles-Ferse der Gamification im Bereich der Altersvorsorge. Dabei hätte die folgende Fiktion durchaus ihren Reiz: In einem Spiel, vergleichbar etwa mit „SimCity“, in dem eine Stadt entwickelt wird, können die Teilnehmer durch den käuflichen Erwerb zusätzlicher Werkzeuge schneller das nächste Level erreichen und gleichzeitig bauen sie sich damit eine Altersvorsorge auf. Spieleanbieter haben längst unter Beweis gestellt, dass damit Geld zu verdienen ist. Auf der jüngsten Gamescom in Köln teilte die Branche mit, dass durch den Umsatz mit virtuellen Zusatzinhalten, dem sogenannten Item-Selling, in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres 145 Millionen Euro Umsatz gemacht wurde. Das entspricht einer Steigerung um 63 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres. Item-Selling, der Verkauf von zusätzlichen Ausrüstungsgegenständen in Spielen ist nach den Worten von Maximilian Schenk, dem Geschäftsführer des Branchenverbandes BIU, „eine echte Innovationsgeschichte“. Man stelle sich nun Folgendes vor: Während bei den herkömmlichen Modellen die realen Ausgaben in die Kasse des Spielentwicklers und/oder der Spieleplattform fließen, landen sie statt dessen auf einem Konto des Spielers und werden ab einer bestimmten Größe zum Beispiel in Fondsanteile umgewandelt.
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