Richtige Reaktion bei Stress im Portfolio
Nach drei Jahren einer tendenziell recht positiven Entwicklung an den internationalen Aktienmärkten hat sich zusätzlich zur verstärkenden Zinsdiskussion die geopolitische Lage deutlich verschlechtert.
Neben dem anhaltenden Konflikt zwischen den USA und China ist die internationale Politik und Diplomatie durch die Eskalation zwischen Russland und der Ukraine extrem gefordert. Das hat naturgemäß auch Auswirkungen auf die Kapitalmärkte und das Portfolio vieler Anleger. Meist so lange – das klingt wenig empathisch, da Märkte, auch in einer sozialen Marktwirtschaft, nicht sozial sind – bis sich ein „Ergebnis“ herauskristallisiert, das die Marktakteure „einpreisen“ können.
Häufig wird zumindest unterschwellig erwartet, dass Vermögensmanager und Berater sich „rechtzeitig“ aus Aktienmärkten verabschieden, nur um dann ebenso „rechtzeitig“ wieder einzusteigen, so dass Verluste vermieden werden oder nur von sehr kurzer Dauer sind. Das ist insbesondere bei exogenen Ereignissen wie 9/11, der Pandemie oder kriegerischen Auseinandersetzungen aber nicht der Fall. Das „rechtzeitige Erkennen“ solcher Ereignisse ist meist schlicht nicht möglich. Daher verhalten sich auch bekannte Vermögensverwalter, die seit Jahrzehnten aktiv sind, meist nicht so. Außerdem muss man auch konstatieren, dass die Finanzindustrie eher nicht die Lösungsansätze für diese Problemstellungen bieten kann, sondern letztlich lediglich Chance-Risikoprofile anpasst.
Fundamentale Einschätzung entscheidet
Portfoliomanager erachten meist eine breite Streuung des Gesamtportfolios wegen der hohen Diversifikation als positiv oder wählen den Ansatz des Stock-Pickings, bei dem nach einer mehrstufigen Selektion Depots mit einer geringeren Anzahl von Finanzinstrumenten zusammengestellt werden. Anlageprodukte sollten dabei aus fundamentalen Gründen gekauft oder gehalten werden. Sind die Daten stabil und keine negativen Signale erkennbar, dann ist eine Position zu halten. Es ist hierbei auch irrelevant, ob der Kurs höher ist als beispielsweise noch vor einem Jahr. Ist eine Branche oder ein Unternehmen nicht mehr zukunftsträchtig, funktioniert ein Geschäftsmodell nicht mehr oder treten mehrfach Managementfehler auf, ist eine Position tendenziell zu verkaufen.
Liquiditätsaufbau durch Zuflüsse
Bei den genannten Punkten ist es dann gar nicht entscheidend, ob sich die Position im Plus oder Minus befindet. Fundamentale Daten eines Unternehmens/einer Branche oder die volkswirtschaftliche Gesamtsituation sind in der Regel wichtiger als das Timing. Deshalb wird in der Regel die Philosophie verfolgt, dass man Werte mit guten Fundamentaldaten nicht verkauft, nur weil exogene Faktoren die Kapitalmärkte beeinflussen. Größere Portfoliomanager erhalten über Sparpläne oder tägliche Zukäufe von Selbstentscheidern, Finanzpartnern oder angeschlossenen Banken jeden Tag Millionenbeträge. Sie stehen zur Investition zur Verfügung. Tendenziell erfolgt hierüber eine Steuerung. Der Portfolioverwalter stellt zudem gegebenenfalls Zukäufe etwas zurück. Dadurch erhöht sich dann automatisch die Liquidität im Portfolio. Die Aktienquote sinkt, ohne dass man aktiv das Portfolio verändern muss.
Grundstein für die spätere Erholung
Daraus leitet sich dann auch ab, dass die Grundausrichtung des Depots relevant für eine spätere Erholung ist. Sofern stabile Geschäftsmodelle, Unternehmen mit regelmäßig guten Fundamentaldaten und ein Management, das sich auch in Krisensituationen bewährt hat, vorhanden sind, ist eine Erholung nach einer Stabilisierung der Gesamtsituation sehr wahrscheinlich. Diese Anlagegrundsätze helfen dann auch, emotionale Entscheidungen zu vermeiden und sich nur auf die Datenlagen der ausgewählten Volkswirtschaften und der selektierten Unternehmen zu fokussieren. So schwierig das in der aktuellen Situation ist oder im März 2020, beim Beginn der Pandemie war, es bleiben letztlich die einzigen Parameter, an denen man sich relativ seriös orientieren kann.
Kosten und Steuern im Auge behalten
Zwar sind die Bankgebühren in Deutschland im europäischen Vergleich nicht so hoch, trotzdem entstehen beim Kauf und Verkauf von Wertpapieren und bei der Umstrukturierung im Portfolio Kosten und Spesen. Sie gilt es zu berücksichtigen. Zum anderen greift bei der Realisierung von Kursgewinnen in Deutschland sofort die Abgeltungssteuer. Es sei denn, eine Nichtveranlagungsbescheinigung ist vorhanden oder das Freistellungsvolumen noch nicht ausgeschöpft. Dadurch ist dann für eine Wiederanlage weniger Geld vorhanden. Auch aus diesem Grund sollten zu häufige große Umstrukturierungen eher vermieden werden.
Rezept gegen falsche Erwartungen
Fazit: Insbesondere Anleger, die sich erst seit kurzer Zeit mit Geldanlage und Depotstrukturierung beschäftigen oder dies reflexartig zur Vermeidung von Aufbewahrungsentgelten tun, sollten sich gut mit der Anlagephilosophie einzelner Fonds oder von Finanzpartnern auseinandersetzen, damit keine falsche Erwartungshaltung entsteht. Für Selbstentscheider ist mindestens der Blick auf das Factsheet eines Fonds zu empfehlen. Es erläutert die grundsätzliche Anlagephilosophie wenigstens kurz (Anlageuniversum, Absicherungsstrategien, Nachhaltigkeitskriterien). Finanzdienstleister müssen die Arbeitsweise und die Anlagephilosophie frühzeitig, transparent und gegebenenfalls auch mehrfach erläutern. So vermeiden sie Missverständnisse und Enttäuschungen. Sie erkennen die Erwartungen privater Investoren, können diese den Umständen anpassen. Das ist leicht gesagt. Diszipliniert Ansätze durchzuhalten, ist oft anstrengend. Mittel- bis langfristig aber besser. Für Privatanleger und Finanzdienstleister zudem meist hilfreich. Das kann zwar auch mal dazu führen, dass es nicht zu einer Zusammenarbeit kommt. Das ist dann aber besser, als unrealistische Erwartungen zu wecken.
Gastautor Andreas Görler ist Senior-Wealth-Manager und zertifizierter Fachmann für nachhaltige Investments bei der Wellinvest- Pruschke & Kalm GmbH in Berlin. Weitere Beiträge von ihm und anderen Vermögensverwaltern finden Sie auf www.v-check.de.
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