Regulierungssystematik führt in Sackgasse
Wegen der niedrigen Zinsen sind die Sparziele für die Altersversorgung nur zu erreichen, wenn dafür auch Alternativen wie Aktienanlagen genutzt werden.
Doch die Bereitschaft, in Aktien zu investieren, nimmt derzeit sogar noch weiter ab. Ein Gespräch mit Oliver Behrens, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der DekaBank, über die Ursachen dieses Verhaltens und notwendige Änderungen in der Anlageberatung.
Die deutschen Sparer saßen bei der jüngsten Hausse an den Aktienmärkten, so Ihre Worte, auf der Tribüne, haben also vom Kursaufschwung nicht profitiert. Wie lockt man die Zuschauer aufs Spielfeld? Von allein kommen sie offenkundig nicht.
Die Deutschen sind in punkto Aktien durch negative Erfahrungen stark geprägt: das Fiasko am Neuen Markt, die Enttäuschung mit der Telekom-Aktie und drei massive Kurseinbrüche in zwölf Jahren. Daraus ziehen sie den falschen Schluss: Aktieninvestments brächten nichts außer Risiken. Hinzu kommt das generell große Sicherheitsbedürfnis der Deutschen.
Aber eine ausreichende Altersvorsorge wird ohne Aktien nicht zu erreichen sein …
So ist es, wir befinden uns seit 30 Jahren in einem Zyklus sinkender Zinsen. Das sollte sich auch so schnell nicht ändern. Unter dem Strich steckt derzeit de facto in Anleihen mehr Risiko als in Aktien. Altersvorsorgesparer können mit verzinsten Anlagen nämlich ihre Versorgungslücke derzeit nicht schließen. Wenn die Inflationsrate zwei Prozent beträgt und der risikolose Zins bei ungefähr einem Prozent liegt, dann leuchtet ein, dass sich real ein Minusgeschäft ergibt. Die Dividendenrendite von Aktien ist hingegen derzeit etwa doppelt so hoch wie die Rendite von Staatsanleihen.
Die Ausgangslage ist also klar. Aber ist auch Änderung in Sicht?
Im Gegenteil. Ich befürchte sogar, dass sich dieses Dilemma noch ausweitet.
Wodurch?
Durch die Regeln, die der Gesetzgeber eigentlich zum Schutz der Anleger vorgegeben hat. Die definierten Risikoklassen in der Anlageberatung führen zu dem Trugschluss, dass schwankende Kapitalanlagen automatisch risikobehaftet, Anleihen des Staates dagegen risikofrei sind. Staatsanleihen gehören zur Risikoklasse 1, deutsche, europäische oder globale Aktienanlagen dagegen zu den höheren Risikoklassen 3 bis 5. Die große Mehrheit der Sparer stuft sich unter Mitwirkung der Berater als konservativ in Risikoklasse 2 ein. Bei Risikostufe 2 darf ein gemischtes Portfolio maximal zehn bis 15 Prozent Aktien enthalten. Soll ein Einzelprodukt gekauft werden, scheiden Aktienfonds von vornherein aus.
„Anlagerisiken müssen adäquat bewertet werden.“
Sie bemängeln, dass Aktien in Deutschland von den Anlegern zu einseitig unter dem Risikoaspekt wahrgenommen werden. Aber tendiert nicht auch der Berater in der Bank zu vermeintlich risikoärmeren Anlagen, um späteren Konflikten aus dem Weg zu gehen, wenn die Kurse vorübergehend sinken?
Wie verhält sich denn ein durchschnittlicher Anlageberater unter den gesetzlich vorgegebenen Regeln? Er stellt sich die Frage, warum er seinem Kunden eine eigentlich sinnvolle Anlage empfehlen soll, die aber schwankt und damit zu Diskussionen über die Wertentwicklung und potenziellen Beschwerden führen kann. Wir sind doch mittlerweile bei einer so engen Regulierung angelangt, bei der in Prüfungen durch die Aufsichtsbehörde schon eine falsche Uhrzeit im Beratungsprotokoll zu Beanstandungen führt. Das haben die Berater natürlich immer mit im Kopf. Daraus entstehen entsprechende Verhaltensweisen in der Beratung des Kunden.
Ein Beispiel dafür: Versuchen Sie doch mal, für ihre Kinder oder Enkelkinder einen Aktiensparplan abzuschließen, wenn Sie selbst in der Risikostufe 2 eingeordnet sind. Der Aktiensparplan gehört aber zur Risikoklasse 3 oder 4. Wegen der langen Laufzeit, die bei Kindern a priori möglich ist, passen Aktienfonds perfekt für die frühzeitig begonnene Vorsorge. Aber nach der Logik „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“ kann das Kind eigentlich keine höhere Risikoklasse wie die Eltern oder Großeltern haben. Was passiert also? Der Berater wird Ihnen aller Wahrscheinlichkeit nach einen Bausparvertrag empfehlen, obwohl von den Rahmenbedingungen her ein Fondssparplan besser gepasst hätte.
Also liegt der Fehler Ihrer Meinung nach in der Regulierung der Anlageberatung?
Regulierung an sich ist richtig und vernünftig, um Vertrauen in Anlageprodukte wiederherzustellen. Aber die mittlerweile vom Gesetzgeber vorgeschriebene Systematik führt in eine Sackgasse. Beratene Kunden werden immer weniger Aktienanlagen vornehmen, weil sie durch die Regulierungslogik in diese Richtung gelenkt werden. Ich sehe die große Gefahr, dass die Masse der Sparer langfristig auf eine reale Rendite von nahezu null kommt. Damit lässt sich aber die Versorgungslücke im Alter nicht schließen. An einer solchen Entwicklung kann der Staat kein Interesse haben.
Sie schlagen also vor, die Risikoklassen für die einzelnen Anlageformen zu überdenken?
Ja, wir müssen einen Dialog mit der Politik beginnen. Zum einen sollte das Beratungsprotokoll nachgebessert werden, damit es Beratung dokumentiert, ohne sie abzuwürgen. Zum anderen müssen Anlagerisiken adäquat bewertet werden. Globale Aktienanlagen gehören, isoliert betrachtet, in die Risikoklasse 5. So weit, so richtig. Aber wenn ich diese Aktien in einem gut diversifizierten Portfolio sehr langfristig halte und dabei noch vom Cost-Average-Effekt profitiere, der mir je nach Ratenverlauf einen mittleren Einstiegspreis unterhalb des langfristigen Durchschnittskurses bringt, dann habe ich eine ganz andere Situation als bei einem Einzelwert, der zur kurzfristigen Spekulation auf einen Kursgewinn gekauft wird.
Natürlich kann der Kurs einer Einzelaktie ins Bodenlose fallen. Dafür liefert die Vergangenheit ausreichend Beispiele. Bei einer breiten Streuung auf viele Titel verschwindet aber das Ausfallrisiko für die Gesamtanlage. Wenn man die Aktienanlage als „ewige“, sprich sehr langfristige Anlage betreibt, dann verlieren auch die zeitlichen Kursschwankungen an Bedeutung. Wir müssen in der öffentlichen Meinung Schluss damit machen, Aktienanlage generell gleichzusetzen mit Spekulation. Aktien sind Beteiligungen an Unternehmen, am Produktivkapital der Volkswirtschaft.
„Langfristiges, nachhaltiges Sparen geht nicht ohne Aktien.“
Wie sollte die neue Definition der Risikoklassen ausfallen?
Die Grundeinteilung an sich ist schon richtig. Wir haben Anlageklassen mit mehr Schwankungen, andere mit weniger oder gar keinen. Die eine hat eine begrenzte Laufzeit, die andere nicht. Wird die Anlage aber mit einem Thema wie der Altersvorsorge gekoppelt, ergibt sich eine ganz andere Situation. Aktien, die nur für kurze Zeit gehalten werden, bergen, keine Frage, ein Risiko. Unter diesen Umständen sind Schwankungen gefährlich. Aber eine diversifizierte und langfristige Anlage hat doch ein ganz anderes Risikoprofil. Mit der aktuellen Struktur der Risikoklassen verhindern wir, dass der durchschnittliche Bürger einen Zugang zu langfristigen Beteiligungen an erfolgreichen deutschen und internationalen Unternehmen findet. Wir müssen diskutieren, was denn so schlimm oder gefährlich daran ist, wenn sich die Deutschen an den besten Unternehmen ihres Landes beteiligen.
Die meisten Unternehmen habe eine Rendite auf ihr Eigenkapital von sieben bis zehn Prozent, davon gibt es wahrscheinlich die Hälfte als Dividende. Die andere Hälfte wird reinvestiert und kommt je nach Markteinschätzung früher oder später als Kursgewinn wieder zurück. Das ist doch kein Risiko, sondern eine Chance. Langfristiges, nachhaltiges Sparen geht nicht ohne Aktien. Die Schwankungsintensität kann durch einen Sparplan entschärft werden, sofern man den Sparplan durchhält. Außerdem können Einzahlungen kapitalgesichert sein, wie es zum Beispiel bei Riester-Sparplänen der Fall ist. Das Risiko zum Zeitpunkt der Fälligkeit lässt sich mit Lebenszyklusmodellen eingrenzen. Sind diese Bedingungen erfüllt, dann muss sich das auch in der Einstufung während der Anlageberatung widerspiegeln. Damit kommt der Sparer dann zu einer Anlage, die zu seinen Anforderungen passt.
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