Gewinne von Aktien realisieren oder laufen lassen?
Die anhaltende positive Entwicklung an den Kapitalmärkten, insbesondere bei Aktien, macht manchen Anlegern schon fast wieder Angst vor einem plötzlichen Einbruch.
So ergibt sich die Frage, ob man den Anteil der Aktien im eigenen Portfolio reduzieren soll oder weiter mit höherer Aktienquote investiert bleibt.
Zunächst sollte jeder für sich abklären, ob es sich um eine Investition oder eine Spekulation handelt. Bei einer Investition kommt es darauf an, wie das Gesamtportfolio strukturiert ist. Wenn die Aktienquote sehr gering ist und es sich um solide Aktien mit belastbarem Geschäftsmodell handelt, muss man nicht auf jede geänderte Wirtschaftslage reagieren und sollte Werte grundsätzlich mittel- bis langfristig halten.
Ertrags- und Substanzwert sind entscheidend
Ein höherer Kurs bedeutet nicht automatisch, dass eine Aktie teuer ist und deswegen verkauft werden muss. Wichtig ist, wie sich der Ertrags- und Substanzwert der Aktiengesellschaft entwickelt haben und wie liquide ein Unternehmen ist. Wenn sich die Kursentwicklung allerdings völlig vom eigentlichen Unternehmenswert abgekoppelt hat, ist Vorsicht geboten. Dann sollte man die Position reduzieren oder komplett verkaufen. Insbesondere bei Growth-Werten, bei denen die Aktienkurse extrem von Erwartungshaltungen und Zukunftsprojektionen abhängig sind, können die Kurse auch mal implodieren, wenn Prognosen sich nicht erfüllen.
Spekulative Anlagen in separatem Depot
Das trifft häufig auch bei angesagten Themen wie Wasserstoff-, Cannabis, Bitcoin oder beispielsweise Digitalisierung zu, da es dort dann schnell zu Überbewertungen kommt. Hier muss man sich im Klaren sein, dass es sich um eine spekulative Anlage handelt. Dafür sollte man ein maximales Budget festlegen und lieber eine Trennung von jenen Beträgen, die eher für die Altersvorsorge bzw. langfristige Ziele gedacht sind, vornehmen und zwei verschiedene Depots eröffnen.
Billige Werte sind oft die größten Verlustbringer
Es ist fast immer besser, eine hohe Bewertung für ein gut geführtes Unternehmen in einer stabilen Branche zu akzeptieren, als Aktien eines schlechter aufgestellten Unternehmens vermeintlich billig zu kaufen. Meist sind die billigen Werte letztlich die größten Verlustbringer, insbesondere wenn man blind nachkauft. Trotzdem muss geprüft werden, was schon eingepreist ist. Oft werden extreme Umsatzsteigerungen über mehrere Jahre bereits vorweggenommen und sind in der aktuellen Kursbewertung enthalten. Bestätigen sich diese Erwartungen nicht, entstehen überproportionale Kurskorrekturen.
Volkswirtschaftliche Daten stützen den Aktienmarkt
Derzeit sind die Volkswirtschaften, insbesondere jene der Industriestaaten, durch hohe Staatsverschuldung geprägt. Das verstärkt die Pandemie noch deutlich. Damit verbunden reagieren die jeweiligen Notenbanken in der Regel mit einer Erhöhung der Geldmenge. Das führt letztlich dazu, dass das Zinsniveau dort niedrig bleibt. Auch die wirtschaftliche Entwicklung in China wird als relevant eingestuft. Aktuell sind die Daten positiv, was ebenfalls zu einer Belebung der weltweiten Aktienmärkte beiträgt.
Zur Zeit liegen die Unternehmensgewinne internationaler Firmen bei ca. sechs Prozent im Jahr. Wenn das im Durchschnitt so bleibt, spricht auch das eher für Aktienanlagen. Allerdings werden Branchen wie Luftfahrt, Reiseveranstalter, Gastronomie, Hotellerie und Eventmanagement noch einige Zeit unter Druck stehen. Hier wird es auch Unternehmen geben, die die massiven Ertragsausfälle nicht überleben werden. Man sollte in diesen Segmenten daher nicht pauschal auf Rebound-Effekte setzen.
Überprüfung bei extrem hohen Aktienquoten
Bleibt das Zinsniveau längerfristig niedrig und wird die Geldmenge hoch gehalten, bleibt auch der Anlagedruck, insbesondere für institutionelle Investoren, hoch. Aktien können dadurch weiter profitieren. Die Aktualität kann dazu führen, dass sogenannte Value-Titel, die ein belastbares Geschäftsmodell haben, weiterhin gute Wertentwicklungen haben dürften. Privatanleger, die extrem hohe Aktienquoten halten, sollten nach zwei guten Börsenjahren allerdings prüfen, ob die Aktienquoten in Richtung 60 Prozent reduziert werden können. Gewinne könnten in aktiv gemanagten Rentenfonds oder etwas defensiveren Mischfonds mit maximalem Aktienanteil von 50 Prozent umgeschichtet werden.
Dabei sind allerdings die persönlichen Ziele und Wünsche sowie der vorhandene Anlagehorizont zu berücksichtigen. Wer in den nächsten drei bis fünf Jahren in Rente geht und dann auf das angesparte Vermögen zugreifen will, sollte grundsätzlich niedrigere Aktienquoten haben als ein Berufsanfänger, der gerade ein Vermögen aufbaut.
Gastautor Andreas Görler ist Senior-Wealth-Manager und zertifizierter Fachberater für nachhaltige Investments, Wellinvest- Pruschke & Kalm GmbH, Berlin. Weitere Beiträge von ihm und anderen Vermögensverwaltern finden Sie auf www.v-check.de.
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