Gefährliche Heimatliebe bei Aktien
Deutsche Anleger sind oft überwiegend in heimischen Aktien investiert. Das birgt nicht nur Risiken, wie die aktuelle Energieproblematik zeigt, sondern kostet langfristig auch Rendite.
Es ist eine verhängnisvolle Abhängigkeit. Sollte infolge des russischen Einmarsches in der Ukraine kein Gas mehr von Russland nach Deutschland fließen, droht hierzulande eine Rezession. „Deutschland ist von dieser Gefahr punktuell betroffen“, so Claus Walter von der FVM Vermögensmanagement GmbH in Freiburg. Das sei ein perfektes Beispiel für Risiken, die man eingeht, wenn man sich bei Geldanlagen zu stark auf den heimischen Markt fokussiert. Risiken bei der Anlage mit Aktien.
Tatsächlich ist dieser sogenannte Home Bias keine Seltenheit. Laut einer Auswertung der Consorsbank aus dem vergangenen Jahr waren bei den über 66-jährigen deutschen Anlegern die größten zehn Positionen im Portfolio allesamt deutsche Werte. Nach Angaben der Bundesbank und des Robo Advisors Whitebox sind 58 Prozent der deutschen Aktienbestände in heimischen Aktien investiert.
Uwe Wiesner von der Vermögensverwaltung Hansen & Heinrich in Berlin bestätigt diese Beobachtung. „Das hat seine Ursache häufig darin, dass man das subjektive Gefühl hat, die Unternehmen im eigenen Land besser zu kennen. Man fühlt sich besser informiert und die Beziehung zu heimischen Firmen ist einfach enger“, sagt er.
Klumpenrisiken im Portfolio
Doch auch unabhängig von aktuellen Risiken wie der derzeitigen Energieproblematik in Deutschland und Europa ist eine regional begrenzte Anlage eigentlich nie ratsam. „Wer vor allem auf deutsche Werte setzt, holt sich zum Beispiel überwiegend bestimmte Branchen und damit Klumpenrisiken in sein Portfolio“, erklärt Wiesner. „So haben wir in Deutschland viele Auto- und Industrietitel, dagegen fehlen Nahrungsmittel, Energie oder Pharmakonzerne.“
Zudem haben deutsche Unternehmen in den vergangenen Jahrzehnten in starkem Maße von der Globalisierung profitiert. „Da wir jetzt eine Tendenz Richtung De-Globalisierung sehen, besteht auch das Risiko, dass der deutsche Markt besonders leidet“, warnt Walter.
Home Bias kostet Rendite
Gleichzeitig lassen sich Anleger dadurch Renditechancen entgehen. „Zukunftsträchtige Titel sind zum Beispiel die großen Plattform-Unternehmen oder Chip-Hersteller“, sagt Walter. „Um dort zu investieren, reicht selbst der europäische Aktienmarkt nicht. Da müssen Sie schon Titel aus dem Silicon Valley oder aus Asien beimischen.“
Wie viel Rendite der Home Bias kosten kann, hat Nomura Asset Management bei institutionellen Investoren, bei denen ebenfalls ein Home Bias festzustellen ist, untersucht. Das Ergebnis: Der Minderertrag liegt bei rund 2,50 Prozentpunkten pro Jahr.
Weltweite Ausrichtung des Portfolios
Wer breit streut, hat noch einen weiteren Vorteil: die Währungsdiversifikation. „Aufgrund des starken Dollars im ersten Halbjahr fielen die Kursverluste für deutsche Anleger, die dort investiert waren, im ersten Halbjahr nicht ganz so schmerzhaft aus“, erklärt Wiesner. Wegen all dieser Gründe ist es wichtig und wird auch immer wichtiger, ein Portfolio weltweit auszurichten.
„Wir empfehlen unseren Kunden in der Regel eine breite Diversifizierung nach Branchen, global gestreut, was wir maßgeblich über Einzeltitel, aber auch über Fonds abbilden“, sagt Walter. Dazu rät er zur aktiven Streuung über verschiedene Regionen den Einsatz passiver ETFs und die Abbildung bestimmter Wachstumstrends über Themenfonds. „Auf diese Weise lassen sich im Vergleich zu einem überwiegend auf den Heimatmarkt ausgerichteten Portfolio die Risiken reduzieren und gleichzeitig das Renditepotenzial erhöhen“, so das Fazit des Experten.
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