Der Westen kann von China etwas lernen
Für die Entwicklung der Kapitalmärkte spielt die wirtschaftliche Entwicklung Chinas eine bedeutende Rolle. Vor diesem Hintergrund ist es legitim, wenn nicht gar notwendig, ein tieferes Verständnis der hinter der chinesischen Wirtschaftspolitik stehenden Denkweise zu gewinnen.
Dabei wird schnell klar, dass der atemberaubende Aufstieg Chinas nicht ein Werk des Zufalls, sondern das Resultat einer sehr langfristig ausgelegten Strategie ist.
Das Projekt der neuen Seidenstraße, die Investitionen in Afrika, die gezielten Firmenübernahmen in Europa sind allesamt Mosaikstücke eines Masterplans, die gemeinsam mit den Grundwerten wie Pragmatismus im Handeln, Blick auf den langfristigen Plan und dem unbändigen Willen zu lernen umgesetzt werden. Dabei hat dieser Plan China auch mit Europa verglichen. Er zeigt, dass wir auf bestem Wege sind, im globalen Kontext marginalisiert zu werden.
Warum machen wir es den Chinesen nicht nach?
Klassische Weltkarten zeigen Rom im Zentrum. In Zukunft muss diese Darstellung allerdings für uns Europäer um etliche Längengrade ostwärts verschoben werden, um Zentren wie zum Beispiel Hong Kong im Mittelpunkt zu zeigen. Die Frage drängt sich auf, warum wir es in Europa den Chinesen nicht gleichtun können. Erstens fehlt ein strategischer, langfristiger Plan und zweitens sind die politischen Strukturen, wie sie derzeit innerhalb der Europäischen Union gegeben sind, bei weitem nicht stark genug, solch einen Plan umzusetzen. Dazu sind die Mitgliedsstaaten im Verbund zu heterogen und die Bereitschaft der Nationalstaaten ist zu gering, notwendige Kompetenzen an die EU-Zentrale abzugeben.
Orientierung auf den schnellen Erfolg
Ein wesentliches Problem liegt auch darin, dass wir in unserer getriebenen westlichen Welt Opfer der Kurzfristigkeit sind. Unternehmen müssen quartalsweise über die Finanzzahlen berichten. Sie müssen wichtige Entscheidungen sofort kommunizieren. Diese haben unmittelbaren Einfluss auf die Bewertung an der Börse, da Anleger sofort darauf reagieren. Spekulanten und Arbitrage-Händler nutzen die Gelegenheit, daraus sofort Kapital zu schlagen.
Dabei werden die Informationen mit kurzfristigen Mutmaßungen bewertet, ohne die effektiven Resultate zu kennen. Sofern ein Management nicht sehr schnell greifbare Ergebnisse erzielt, ist der Kredit schnell aufgebraucht. Dies führt unweigerlich zu betrieblichen Entscheidungen, die genau das schaffen, was gefordert ist: kurzfristigen Erfolg. In diesem kurzsichtig geprägten Hamsterrad gehen der Blick für nachhaltige Entwicklung und langfristige Vision verloren.
Visionen als Innovationstreiber
Sehr eindrücklich wird dies auch bei großen Entwicklungsschüben sichtbar. Haben Sie sich mal gefragt, warum neue und innovative Technologien meist von Start-ups kommen und nicht von kapitalkräftigen Konzernen? Kleine, sehr visionäre Start-ups arbeiten unter einfachsten Bedingungen und mit minimalstem Kapital an bahnbrechenden Innovationen. Dies zeigt sich aktuell sehr deutlich bei der Entwicklung von Blockchain-basierten Lösungen.
Die FinTech-Branche besteht aus vielen Start-ups, die vor allem eines verbindet: die Vision, die Welt durch Digitalisierung effizienter zu machen. Ihnen fehlt aber oft das Kapital und die berufliche Erfahrung, um ihre Ideen erfolgreich umzusetzen. Sehr oft bemerken die großen, kurzfristig getriebenen Konzerne sehr spät, dass sie auf den fahrenden Zug aufspringen müssen und tätigen dann Akquisitionen zu horrenden Preisen. Der Aktionär bezahlt dabei die Rechnung für das kurzfristige Denken und das Fehlen einer langfristigen, nachhaltigen Strategie.
Aus Rückschlägen und Krisen lernen
Regionen mit dynamischem Wachstum zeichnen sich eben genau durch solche Visionen aus. Wer die enorme Dynamik beispielsweise in den Straßen des Finanzzentrums in Dubai erlebt und Gespräche mit hochrangigen Vertretern aus Wirtschaft und Politik führt, spürt unweigerlich den breiten Grundkonsens, dass Dubai zu einem globalen Zentrum für Innovation und Wachstum werden soll. Regulatorische, rechtliche und steuerliche Voraussetzungen werden so angepasst, damit beste Rahmenbedingungen für die Ansiedlung von Talenten und Investoren entstehen. Dies ergibt eine Dynamik, die dieses enorme Wachstum beflügelt.
Rückschläge und Krisen werden dazu genutzt, daraus zu lernen, und nicht, um die große Vision zu hinterfragen oder mit neuen Verordnungen einzuengen. Die in westlichen Sphären verbreitete Kurzfristigkeit des Denkens und Handelns führt dazu, dass wir langfristig den Zug der globalen Veränderungen verpassen.
Offenheit fördert nachhaltiges Wachstum
Nachhaltiges Wachstum ist nur möglich, wenn wir offenbleiben. Offen für neue Erkenntnisse, offen für neue Sichtweisen, offen für andere Kulturen, offen für andere Menschen. Wer Mauern baut, sich von der Dynamik der Welt abschottet und sich als «first» betrachtet, wird verlieren. Spätestens seit dem ersten Weltkrieg wissen wir, dass Grabenkämpfe Stillstand und Verluste bedeuten.
In China lernen die Kinder in der Grundschule, wie wichtig lebenslanges Lernen und Offenheit sind. Aber wir denken in abendländischer Tradition nach wie vor, wir müssten andere Länder und Kulturen von unseren Prinzipien in der Denk- und Handlungsweise überzeugen. Ist es nicht vielmehr so, dass wir wieder lernen sollten zu lernen? Gibt es nicht Handlungsweisen, die wir übernehmen sollten, um Erfolg zu haben?
Der Geißel der Kurzfristigkeit widerstehen
Mehr chinesischer Pragmatismus, mehr langfristige Denkweise, mehr Offenheit für Neues und mehr Selbstvertrauen bei kurzfristigen Rückschlägen würden uns sehr gut bekommen. Dies gilt zu einem großen Teil auch für die Kapitalanlage. Gerade angesichts einer etwas unsicheren Entwicklung an den Börsen ist der Anleger gefordert, sich nicht von der Geißel der Kurzfristigkeit leiten zu lassen und den Blick für die langfristige Entwicklung des Vermögens nicht zu verlieren. Wer langfristig denkt, nutzt unruhigere Zeiten zum Lernen, positioniert sich vorausschauend und optimiert seinen langfristigen Plan.
Gastautor Rainer Laborenz ist Geschäftsführer der azemos vermögensmanagement gmbh in Offenburg.
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