Während im Strafvollzug früher ein archaisch geprägter Schuld- & Sühne-Ansatz verfolgt wurde, weicht dieser zunehmend einem umfassenden Resozialisierungsgedanken. Doch er klammert die Rente für Strafgefangene bisher aus. Eine Annäherung an ein komplexes Thema.
Auf das Jahr 1976 datiert der Entwurf eines Gesetzes, das die Einbeziehung von Strafgefangenen in die gesetzliche Rentenversicherung regeln sollte. Dieses Gesetz gibt es aber bis heute nicht. Seinerzeit mögen im innenpolitischen Umfeld von RAF-Terror und Stammheim in der Bundesrepublik andere Prioritäten geherrscht haben. Doch mittlerweile sind über 40 Jahre vergangen. Die Frage, ob und wie Strafgefangene in der gesetzlichen Rentenversicherung berücksichtigt werden, blieb offen.
Arbeitspflicht ja, Rentenversicherungspflicht nein
Nun scheint wieder Bewegung in diese Angelegenheit zu kommen. Darauf deuten verschiedene Aktivitäten, Stellungnahmen und Initiativen hin. Von der Caritas bis zu den GRÜNEN beschäftigen sich Untersuchungen und Positionspapiere damit. Auch die Bundesregierung lieferte in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage unlängst Auskunft, verzichtete jedoch auf eine klare Positionierung.
„Selbst schuld“ – damit löst sich das Problem nicht
So bleibt ein maßgeblicher Teil der Lebensarbeitszeit von Strafgefangenen trotz verpflichtender Heranziehung zur Arbeit letztlich für die Altersvorsorge vollkommen unberücksichtigt. Das führt zu Einbußen bei der Rente. Außerdem können Ansprüche wegen der Nichterfüllung von Wartezeiten ganz scheitern. „Selbst schuld“, könnte man meinen und Strafgefangene ausschließlich als soziale Rand- oder Problemgruppe betrachten, die durch kriminelles Handeln ihr „Schicksal“ selbst bestimmt haben. Allerdings lässt diese durchaus gängige Meinung den häufig zitierten Resozialisierungsgedanken außen vor. Zudem sind unabhängig von der Schwere der Schuld im Strafvollzug gelebte Zeiten individuelle Erwerbsbiografien. Diesen Fakt sollte eine human eingestellte und aufgeklärte Gesellschaft anerkennen und eine Regelung finden, die das Arbeitsleben von Strafgefangenen berücksichtigt.
Gefangen zwischen Rechts- und Sozialstaat
Die vorherrschende Begründung für das derzeitige Vorgehen klingt paradox. Sie begründet den Ausschluss Strafgefangener von der Rentenversicherung nämlich mit der fehlenden Freiwilligkeit in öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnissen. Diese wiederum gilt jedoch laut Sozialgesetzbuch als Grundmerkmal einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Somit verhindert eine gesetzlich gewollte Arbeitspflicht eine gesetzlich mögliche Rentenversicherungspflicht. Dennoch wurde dieser Ausschluss aus der Rentenversicherung vom Bundesverfassungsgericht 1998 für verfassungskonform erklärt. Obwohl beispielsweise auch im damaligen Gesetzentwurf stand, dass es gegenüber Strafgefangenen „nicht gerechtfertigt ist, neben den notwendigen Einschränkungen, die der Freiheitsentzug unvermeidbar mit sich bringt, weitere vermeidbare wirtschaftliche Einbußen zuzufügen“. Auch das Bundessozialgericht hatte im Laufe der Jahre geurteilt, dass aus der Abwicklung des Strafvollzugs „für die Zeit nach der Strafentlassung keine unterschiedlichen Folgerungen hinsichtlich der sozialen Sicherung des Gefangenen geknüpft werden dürfen“.
Perspektiven erarbeiten – auch für die Rente
Wer ist zuständig, wer soll das bezahlen?
In ihrer Antwort verwies die Bundesregierung eine mögliche Neuregelung an die Bundesländer. Schließlich fungieren diese als Träger des Strafvollzugs. Man möchte dort die „Meinungsbildung abwarten“, hieß es im Bundesarbeitsministerium. Zudem „sind keine weiteren Schritte von Seiten der Bundesregierung beabsichtigt“. Gründe dafür wurden nicht angeführt. Die Länder wiederum befürchten die damit verbundenen Kosten für ihre Haushalte. Eine derartige Sichtweise ist möglicherweise mit dafür verantwortlich, dass seit über vier Jahrzehnten keine Regelung zustande kam. Allerdings würden sich die Kosten für eine rentenversicherungspflichtige Einbeziehung von Strafgefangenen durchaus im Rahmen halten. So erwarten beispielsweise BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kosten für die Länder von jährlich 160 Millionen Euro. Der Deutsche Caritasverband prognostizierte bundesweit Kosten zwischen 170 und 186 Millionen Euro. Das Land Schleswig-Holstein zum Beispiel schätzte seine jährliche Mehrbelastung auf etwa 4,3 Millionen Euro.
Bund und Länder sind gefordert
Dies sind in Zeiten erheblicher steuerfinanzierter Rentenpakete des Bundes für andere Gruppen der Bevölkerung durchaus tragbare Kosten für die Länderhaushalte. Ein bloßer Verweis auf die damit verbundene fortlaufende Mehrbelastung löst das Problem nicht. Zumal es zum parlamentarischen Selbstverständnis gehört, von der Legislative eingenommene Standpunkte auch zu begründen. Das scheint auch geboten, wenn man die thematische Auswertung des Bundestagsabgeordneten Markus Kurth (Bündnis90/Die Grünen) betrachtet. Immerhin lässt sich der Bund durch sein zuständiges Fachministerium nunmehr in den entsprechenden Arbeitsgruppen der Länder vertreten. Somit könnte doch noch Bewegung in einen seit vier Dekaden festgefahrenen Prozess kommen.
Fazit: Wenn der Resozialisierungsgedanke im Strafvollzug Priorität besitzt, sollte dieser Anspruch auch im Hinblick auf die Rente von Strafgefangenen konsequenter gelten. In diesem Fall eben bis zum Lebensende.