Armutsrenten im Aufwärtstrend
Seit 2003, mit der Einführung der Grundsicherung im Alter, schreitet eine systemische Verschmelzung der beitragsabhängigen Altersrente mit der vorleistungsunabhängigen staatlichen Fürsorge voran. Auf diese bislang in der Öffentlichkeit wenig beachtete Entwicklung macht Johannes Steffen vom Portal Sozialpolitik aufmerksam.
Grundsicherung im Alter bezieht bislang nur ein vergleichsweise kleiner Teil der Rentner. Auch wenn sich dieser Anteil seit 2003 mehr als verdoppelt hat, bietet er keinen Grund zur erhöhten Beunruhigung.
Nach Angaben des Portals Sozialpolitik wurden Ende des vergangenen Jahres 2,6 Prozent der Altersrenten ab Regelaltersgrenze mit Grundsicherung aufgestockt. Alles in allem rund 405.000 Fälle. 2003 lag dieser Anteil bei 1,2 Prozent (158.000 Fälle). Das seit dieser Zeit deutlich gesunkene Rentenniveau spiegelt sich also weniger in der Grundsicherung wider, als in der politischen Auseinandersetzung mitunter behauptet wird.
Die Höhe der Altersrente entscheidet allerdings auch nicht allein darüber, ob Bedürftigkeit vorliegt. Darüber hinaus spielen weitere eigene Einkünfte und das Partnereinkommen eine Rolle. Johannes Steffen bringt aber in diesem Zusammenhang noch eine andere Zahl ins Spiel: den Anteil der Personen, deren Rente auf die Grundsicherung angerechnet wird. Er stieg von 61,4 Prozent (2003) auf 77 Prozent (2016). Die verbleibenden 23 Prozent Grundsicherungsempfänger des vergangenen Jahres hatten keine oder zu wenig Versicherungszeiten. Diese Entwicklung zeigt eines: Die Gruppe der Älteren, die trotz Rente auf zumindest ergänzende Grundsicherung angewiesen sind, ist schneller gewachsen als jene, die überhaupt nicht in der Rentenversicherung waren.
Löhne stiegen schneller als die Rente
Steffen benutzt für diese Gruppe den Begriff der „Armutsrente“. Damit sind Renten gemeint, die unter dem durchschnittlichen Grundsicherungsbedarf im Alter liegen. Eine solche Armutsrente führt allein nicht zwingend zum Grundsicherungsbedarf. Aber die Zahl der Betroffenen steigt nach den Auswertungen des Portals Sozialpolitik wahrscheinlich in Zukunft weiter an. Hergeleitet wird dies aus der unterschiedlichen Entwicklung von Löhnen, Renten und Grundsicherung. So stieg das verfügbare Durchschnittsentgelt von 2003 bis 2016 um 25,9 Prozent, die verfügbare Standardrente jedoch nur um 12,7 Prozent. Diese Entwicklung überrascht zunächst nicht, sie ist lediglich eine Folge des im Zuge der Reformen gesunkenen Rentenniveaus.
Höhe der Grundsicherung wächst schneller
Der durchschnittliche Bedarf der Grundsicherung im Alter erhöhte sich im gleichen Zeitraum mit 37,9 Prozent um 12 Punkte schneller als das Durchschnittsentgelt. Noch größer ist der Abstand zwischen Rente und Grundsicherung. Die Rente blieb um 25,2 Prozentpunkte hinter dem Zuwachs des Fürsorgebedarfs zurück. Oder anders ausgedrückt: Damit ein Rentner mit 45 Beitragsjahren eine verfügbare Rente (also abzüglich der durchschnittlichen Beiträge für Kranken- und Pflegeversicherung) in Höhe des durchschnittlichen Fürsorgebedarfs bekommt, musste er im vergangenen Jahr 65,6 Prozent des Durchschnittsentgelts verdienen. 2003 genügten dafür 53,6 Prozent.
Johannes Steffen stellt dann diese notwendige relative Entgeltposition noch ins Verhältnis zum gestiegenen Durchschnittsentgelt (+25,9 Prozent). Ergebnis: Der Lohn, der nach Abzug der SV-Beiträge benötigt wird, um eine Rente auf Niveau der Grundsicherung zu erhalten, stieg im Zeitraum von 2003 bis 2016 um 54 Prozent und damit doppelt so stark wie das durchschnittliche Entgelt. Daraus leitet Steffen die Schlussfolgerung ab, dass der Anteil der sogenannten Armutsrenten weiter zunimmt.
Überlagerung durch Struktureffekte
Die bereits bis 2016 vorliegenden Zahlen stützen seine Annahme, obwohl sie von einigen Struktureffekten überlagert werden. Vor allem bei den Männern ist die Entwicklung auffällig. Der Anteil der Armutsrenten hat sich von 13,5 Prozent (2003) auf 21,4 Prozent (2016) nahezu verdoppelt. Bei den Frauen ist die Entwicklung nicht so drastisch, weil der Anteil mit 60,7 Prozent im Jahr 2003 schon ziemlich hoch lag. Darin sind vor allem westdeutsche Rentnerinnen enthalten, die traditionell deutlich niedrigere Renten beziehen. Er stieg verhalten auf 63,4 Prozent an. Die absolute Anzahl hat sich aber dennoch um etwa 20 Prozent erhöht.
Bei den Frauen wirkt dem beschriebenen Trend zudem entgegen, dass zunehmend Frauen mit längeren Versicherungszeiten und mehr Entgeltpunkten in den Rentenbestand hineinwachsen. Außerdem schlug sich die verbesserte Mütterrente ab Juli 2014 nieder. Damit stieg der Rentenzahlbetrag einer Reihe von Frauen über den Grundsicherungsbedarf.
Diskussion über Mindestrente zu erwarten
Die von Johannes Steffen aufgezeigte Entwicklung wird die Diskussion über eine Mindestrente und eine Lockerung des strengen Äquivalenzprinzips in der deutschen Rentenversicherung wieder beflügeln. Es gab vor Jahren schon einmal eine heftige Diskussion über den Abstand von staatlichen Fürsorgeleistungen und den unteren Erwerbseinkommen. Diese ist spätestens mit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes vom Tisch. Ähnliches könnte sich nun bei der Rente wiederholen. Mit Blick auf die Akzeptanz der verpflichtenden Rentenversicherung wird die Frage aufkommen, ob bei einer Mindestanzahl von Versicherungs- und Beitragsjahren nicht auch ein bestimmter Abstand zur vorleistungslosen Grundsicherung gewahrt bleiben muss.
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