Wie gerecht das eigene Erwerbseinkommen bewertet wird, kann durchaus als Indiz für die allgemeine Einkommensgerechtigkeit gelten. Allerdings kommt dabei auch gefühlte Gerechtigkeit ins Spiel.
Nicht nur in Deutschland geht die Spanne zwischen Niedrig- und Gutverdienern weiter auseinander. Diese Kluft existiert auch in anderen europäischen Ländern. Jedoch fällt laut einer aktuellen Studie auf Basis der 9. Welle des European Social Survey (ESS) die Einschätzung der Einkommensgerechtigkeit mitunter anders aus als hierzulande. Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) werteten dazu die Antworten von 34.000 Befragten aus 18 Ländern aus.
Niedrige Einkommen eher als ungerecht empfunden
Leistung muss sich immer noch lohnen
So prägte das Motto „Leistung muss sich wieder lohnen“ einen wirtschaftlichen und sozialpolitischen Umbruch in Deutschland ab Anfang/Mitte der 1980er Jahre. Von verschiedenen Quellen wird dieser Anspruch politisch der CDU und namentlich auch mal Helmut Kohl zugeschrieben. Später erlebte das Motto in verschiedenen Variationen beziehungsweise aus anderen politischen Lagern heraus ein Comeback, unter anderem als Slogan „Arbeit muss sich wieder lohnen“. Die DIW-Studie signalisiert, dass die damit verbundene Grundaussage in Deutschland durchaus Bestand hat. Unterstützt wird diese Sichtweise durch ein weiteres Ergebnis in Bezug auf das Kriterium „Gleichheit“. So wird im Vergleich zu Befragten in anderen europäischen Staaten eine Gleichverteilung von Einkommen in Deutschland häufiger abgelehnt.
Deutsche fühlen sich gerechter entlohnt
Das eigene Einkommen wird in Deutschland häufiger als gerecht bewertet als im restlichen Europa. Für 49 Prozent ist Einkommensgerechtigkeit gegeben. Gut sechs Prozent finden das eigene Einkommen ungerecht, weil es zu hoch (!) ausfällt.
Mehr Kontrolle beim Mindestlohn
Welche Konsequenzen sich aus der Studie zur Einkommensgerechtigkeit im Niedriglohnsektor ergeben, fasst Stefan Liebig, Direktor des Sozio-oekonomischen Panels am DIW Berlin, zusammen: „Es soll auch sichergestellt sein, dass sich die unteren Einkommensgruppen einen angemessenen Lebensstandard leisten können – ein Versprechen, das zum Grundprinzip der sozialen Marktwirtschaft deutscher Prägung gehört.“ Mit der Einführung des Mindestlohnes nahm Deutschland eine Regulierung am unteren Rand der Einkommensverteilung vor. Zudem steigt der Mindestlohn mit der Zeit weiter an. Allerdings werde der Mindestlohn trotz guter Konjunktur nicht in allen Beschäftigungsverhältnissen beziehungsweise Branchen auch gezahlt oder er wird anderweitig umgangen. Deshalb weist die Studie darauf hin, dass neben bedarfs- und leistungsgerechten Löhnen vor allem eine stärkere Kontrolle nötig ist. Dies wäre ein wichtiger Schritt, um künftig für mehr empfundene Einkommensgerechtigkeit zu sorgen.