Pflegeabsicherung per Tarifvertrag
Der Düsseldorfer Henkel-Konzern startet im Rahmen der betrieblichen Versorgung zu Beginn des Jahres 2019 als erstes Unternehmen in Deutschland eine Absicherung für den Pflegefall. Ein Gespräch mit Martina Baptist, Leiterin Versorgungssysteme bei Henkel, über Anlass und Umfang dieser Leistung.
Wie kam es zu dieser Erweiterung, die ja ein ganzes Stück über den Rahmen der gesetzlich definierten betrieblichen Altersversorgung hinausreicht?
Henkel hat bereits in den vergangenen Jahren die Betriebsrente, die mittlerweile eine 100-jährige Tradition besitzt, stark ausgebaut. So haben wir 2013 für alle Mitarbeiter flexible Modelle für die Entgeltumwandlung eingeführt, die jeden in die Lage versetzt, über den Arbeitgeberbeitrag hinaus sich zusätzliche Altersversorgungsleistungen aufzubauen. Die Altersabsicherung wurde zudem durch eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung ergänzt. 2017 kam dann noch eine Gesundheitsvorsorgeversicherung hinzu. Dennoch blieb das Gefühl: Da fehlt noch was.
Wer oder was löste es aus?
Die Kolleginnen, die bei den Sozialen Diensten des Unternehmens arbeiten. Sie stellten fest, dass sich die Anliegen der Mitarbeiter, die sich an die Sozialen Dienste wenden, erkennbar verändert haben. Früher drehten sich ihre Anfragen häufig um die Kinderbetreuung. Jetzt geht es in den Beratungsgesprächen viel häufiger um die Pflege von Familienangehörigen. Zwar existieren bereits verschiedene Möglichkeiten wie Freistellungen, Teilzeit und Darlehen zur Überbrückung, aber viele Mitarbeiter wollen gar nicht auf diese Instrumente zurückgreifen. Zum Beispiel weil sie befürchten, dass sie nach der Pause nicht wieder richtig in den Beruf einsteigen können oder weil sie sich die Pflege einfach nicht zutrauen. Hinzu kam der günstige Umstand, dass auch unsere Branchengewerkschaft IG BCE über die Absicherung von Arbeitnehmern im Pflegefall nachgedacht hat. So haben wir uns entschieden, in der Sozialpartnerschaft eine Lösung zu entwickeln.
„Ziel war ein Firmentarifvertrag“
Diese Kooperation mit der IG BCE hat das Projekt befördert …
Auf jeden Fall. Wir sind gemeinsam mit dem Ziel angetreten, einen Firmentarifvertrag dafür zu entwickeln. Bei einer solchen Absicherung muss schließlich immer auch die Finanzierung geklärt werden. Viele Mitarbeiter verfügen nur über begrenzte Mittel. Daher muss man immer Wege finden, dass eine solche Absicherung für alle Beschäftigten finanzierbar bleibt. Die Chemiebranche verfügt über den tariflichen Demografiefonds, der für verschiedene Zwecke eingesetzt werden kann. Durch den Haustarifvertrag kommt nun als weitere Verwendungsmöglichkeit für den Demografiefonds in unserem Fall die Pflegeabsicherung hinzu.
„Pflegevorsorge ist ein Element der Altersvorsorge“
Sie gehen mit der Pflegeabsicherung über den Katalog der biometrischen Risiken, die das Betriebsrentengesetz vorsieht, klar hinaus. Hat das Diskussionen im Unternehmen ausgelöst?
Genau über diesen Punkt haben wir uns in der Vorbereitung auch viele Gedanken gemacht. Unsere Schlussfolgerung: Mit der Pflegeabsicherung schützen wir das Altersvorsorgevermögen der Mitarbeiter. Insofern ist eine solche Pflegevorsorge durchaus ein Element der Altersvorsorge.
Welche Leistungen können die Mitarbeiter aus der Pflegeabsicherung erwarten?
Wir haben von Anfang an Kurs auf eine Modullösung genommen, weil der Bedarf an den einzelnen Standorten in Deutschland sehr unterschiedlich ist. Pflege in Nordrhein-Westfalen ist deutlich teurer als beispielsweise in Schleswig-Holstein. Daher bieten wir zunächst eine Basisabsicherung, die auf die Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung aufsetzt und zusätzlich aufgestockt werden kann. Einbezogen sind sowohl die ambulante als auch die stationäre Pflege. Die stationäre und teilstationäre Pflege ist in den Pflegegraden 2 bis 5 mit 1.000 Euro abgesichert. Für die ambulante Pflege gibt es in den Graden 2 bis 4 eine Leistung von 300 Euro.
Der Pflegegrad 1 ist in der Regel noch nicht so aufwändig, so dass die Familien den Aufwand dafür noch recht gut stemmen können. In der ambulanten Pflege haben wir auf den Pflegegrad 5 verzichtet, weil es sich dabei oft um eine 24-stündige Betreuung handelt, die eigentlich nur noch stationär bewältigt werden kann. Die meisten Betroffenen wechseln unter diesen Umständen dann ohnehin meist in eine stationäre Einrichtung.
„Den bAV-Katalog weiter fassen“
Da es sich nicht um bAV im eigentlichen Sinne handelt, ergibt sich eine andere steuerliche Situation.
Die Zahlungen für die Pflegeabsicherung müssen die Mitarbeiter als geldwerten Vorteil versteuern. Den Rahmen der 44 Euro steuerfreien Sachbezug haben wir leider durch andere Leistungen im Unternehmen schon ausgeschöpft, zum Beispiel durch die Gesundheitsvorsorgeabsicherung. Das ist der Nachteil. Dafür sind aber die späteren Leistungen nicht nachgelagert zu besteuern.
Aber es wäre durchaus sachgerecht, wenn in den Katalog der abzusichernden Risiken im Betriebsrentengesetz der Pflegefall mit aufgenommen würde?
Das sehe ich auch so. Dann stünden Pflegeabsicherung und Altersvorsorge auf der gleichen Stufe. Das wäre sachgerecht und entspräche auch der demografischen Entwicklung.
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