Länger arbeiten oder früher in Rente?
Wirtschaft und Teile der Politik plädieren für eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Doch wie sieht es bei den Beschäftigten selbst aus? Eine neue Studie gibt dazu Auskunft.
Fachkräftemangel und demografischer Wandel sorgen für Probleme, beim Wachstum und bei der Rente. Aber schon bis zur derzeit geltenden Regelaltersgrenze möchten in Deutschland bei weitem nicht alle arbeiten.
Die Bereitschaft dazu ist umso geringer, je jünger die Befragten sind. Zudem musste im Jahr 2019 rund jeder sechste Neurentner noch vor seinem regulären Renteneintritt den Beruf aufgeben. Die individuelle Gesundheit und Leistungsfähigkeit spielen also auch eine wichtige Rolle für die Lebensarbeitszeit.
Verbreitete Kultur des Frühausstiegs
Wie lange Menschen hierzulande erwerbstätig bleiben können, wollen oder müssen, ist eine Frage, die mit einer komplexen Studie untersucht wurde. Befragt wurden Erwerbstätige im Alter von 20 bis 64 Jahren, bis zu welchem Alter sie erwerbstätig sein wollen oder meinen, dies zu schaffen. Im Ergebnis seiner Analyse kommt der Wuppertaler Mediziner und Arbeitsforscher Hans Martin Hasselhorn zum Fazit, dass offensichtlich eine „Kultur des Frühausstiegs“ dominiert. So möchte über die Hälfte der Teilnehmer am liebsten weit vor dem derzeit geltenden Regelrenteneintritt aufhören zu arbeiten. Ein gutes Drittel (37 Prozent) präferiert ein Alter von 60 Jahren als Ende der Lebensarbeitszeit. 15 Prozent möchten maximal bis zum 59. Lebensjahr arbeiten. Dieser frühe Ausstiegswunsch gilt Hasselhorns Beobachtungen zufolge insbesondere für die ab jetzt in den Ruhestand eintretende Babyboomer-Generation.
Alter als Faktor für die Erwerbsperspektive
Nach Ansicht Hasselhorns ändern sich die Einstellung zur Arbeit und der Wunsch nach Rente im Laufe des Lebens je nach persönlicher Erfahrung. Das „unmittelbare Erleben der eigenen Arbeit und Gesundheit“ habe den größten Einfluss auf die Entscheidung für eine längere oder kürzere Lebensarbeitszeit. In den Unternehmen können dabei positive Erlebnisse und eine motivierende Betriebskultur die Perspektive für eine anhaltende Beschäftigung beeinflussen. Für Menschen, die ihre Arbeit aus gesundheitlichen Gründen beenden müssen, sind wiederum entsprechende Finanzmittel nötig, um nicht in Altersarmut zu geraten. Prinzipiell fordert der Autor, die Rolle des Alters für die Erwerbsperspektive über alle Altersschichten hinweg noch differenzierter zu betrachten. Inwieweit sich dabei die Corona-Pandemie und deren Folgen für Arbeitswelt und Lebensarbeitszeit bei künftigen Ruhestandsplanungen auswirken, bleibt zur Zeit noch offen.
Zuspruch für Rente mit 63 hält an
Der Hang zu einem früheren Rentenbeginn zeigt sich auch an anderen Fakten. So ist die Altersrente für besonders langjährig Versicherte, die sogenannte Rente mit 63 für Beschäftigte mit mindestens 45 Beitragsjahren, aktuell für mehr als eine Viertelmillion Deutsche erklärtes Ziel. Die Deutsche Rentenversicherung verzeichnete im Jahr 2020 einen neuen Antragsrekord für diese Rentenart. So stellten 260.125 Frauen und Männer einen derartigen Antrag. Das sind gegenüber dem Vorjahr etwa 3.000 Beschäftigte mehr, die ihre Lebensarbeitszeit auf diese Weise abkürzen möchten. Mittlerweile gingen rund 1,6 Millionen Senioren auf diesem Weg in den vorgezogenen Ruhestand. Das wiederum sind rund 300.000 mehr, als ursprünglich von der Bundesregierung kalkuliert, wie die Informationsplattform der Rentenversicherung (ihre-vorsorge.de) unlängst berichtete.
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